WISSENSCHAFTSGESCHICHTE

Wer hat an der Uhr gedreht?

Thomas De Padova erzählt, wie Leibniz und Newton zwei Neuzeiten erfanden

In der Gegenwart arbeitet ein Weltkonzern wie Swatch daran, uns eine neue Zeitrechnung zu schenken, die sich nicht mehr um Tage und Stunden und so unmoderne Zahlen wie 12 oder 60 dreht. Vor knapp 400 Jahren erst tauchten Minuten- und Sekundenzeiger an öffentlichen Uhren auf, obwohl die manchmal noch ungenauer gingen als die Sonne. Und nahezu zeitgleich arbeiteten Issaac Newton und Gottfried Wilhelm Leibniz unabhängig voneinander an so grundsätzlichen Fragen wie etwa der, ob es Gleichzeitigkeit überhaupt gebe oder ob man sie erfinden müsse.

Der Wissenschaftsjournalist Thomas De Padova erzählt höchst lebendig und ebenso fakten- wie gedankenreich, wie Newton und Leibniz in völlig unterschiedlichen Lebenswelten aufwuchsen, wie unterschiedlich der Wissenschaftsbetrieb in England und Deutschland organisiert war, und wie seltsam es doch zuging, dass beide zwar dieselbe Infinitesimalrechnung erfanden, aber in Sachen Zeit völlig unterschiedlich dachten.

Newton wuchs mit Sonnenuhren sozusagen analog auf und las von ihnen die Grundüberzeugung ab, dass es eine "wirkliche" Zeit gebe, unabhängig von allen Dingen, denen die modernen Uhren nun näher und näher kommen. Leibniz wuchs mit Zahlen auf, heute würden wir das digital nennen, und war sich sicher, dass "Zeit" ohne Uhren, allgemeiner: ohne Bewegung in der Welt, gar keinen Sinn hat. Bei Einstein treffen die unversöhnlichen Lager dann wieder aufeinander. Seit Einstein ist in jedes Navigationsgerät die Erkenntnis eingebaut, dass Zeit strikt relativ zu den Uhren ist, die sie angeblich messen. Dass Zeit in schnellen Uhren langsamer vergeht, wenn man sie mit stehenden Uhren vergleicht. Aber auch, dass man die nur scheinbar objektive Zeit als Vergleichsbasis durchaus errechnen kann. Mit jener Methode, für die Newton, sehr zu Leibniz's Ärger, historisch die Palme gebührt.

De Padovas Wissenschaftsgeschichtsbuch ist prall voll von manchmal fast romanhaften Episoden, die den Gelehrtenstreit plastisch machen. Belehrung und Unterhaltung finden aufs Angenehmste zusammen. Und immer wieder betont der gelernte Physiker, dass Newton und Leibniz bei aller Relevanz für die Gegenwart, damals doch beide in einer für Heutige doch recht fremden Gedankenwelt dachten.

Wing

Thomas De Padova: Leibniz, Newton und die Erfindung der Zeit. Piper, München 2013, 352 S., mit 21 Abbildungen, 22,99