INTERNET-ROMAN
Der haarlose Killer Was weiß man eigentlich über den Mann, der Gianni Versace erschoss? Oh, eine Menge: Er war schwul, trug auch schon mal Frauenkleider (von Lagerfeld?), hatte sich alle Körperhaare abrasiert, hatte schon vier Morde begangen, stand über einen Monat lang auf der FBI "10 most wanted"-Liste, hatte AIDS, beging Selbstmord... Andrew Cunanan (so heißt der 27jährige, der einen Monat lang für die gesamte Polizei der USA unauffindbar war und schließlich tot auf einem Hausbott gefunden wurde) hat vielleicht Gianni Versace erschossen. Vielleicht auch einen Immobilienhändler, einen Friedhoswärter, einen Ex-Liebhaber und dessen Ex-Liebhaber. Vielleicht auch nicht. Die Beweise sind dürftig, die Gerüchte üppig. Denn alles, was wir wissen, sind Gerüchte. Die kleine Auswahl an Informationen im ersten Absatz hat der deutsche Autor Georg M. Oswald im Internet zusammengeklaubt. Die meisten Aussagen über Cunanan sind von der Polizei nie bestätigt worden; so wurde zwar bestätigt, daß drei der Cunanan angelasteten Morde mit der gleichen Waffe begangen wurde, ob diese Waffe aber auch diejenige war, mit der Cunanan sich umbrachte, ist ebenso ungeklärt wie die Frage, warum er diese Morde beging. Daß er AIDS hatte wird inzwischen ausgeschlossen. Das Buch von Oswald - eine Mischung aus Internet-Übersetzungen und kritischer Kommentare, für die er sich zwei namenlos Journalisten ausgedacht hat, die über den Fall schreiben sollen - ist in der Anlage klüger als in der Ausführung. Es ist ein kurzes, gutes Beispiel dafür, wie Informationen ohne jede Grundlage über die Medien geschickt werden, dort immer und immer wieder zitiert werden, bis niemand mehr weiß, woher sie eigentlich kamen und wer sie überprüft hat; jedenfalls sind einige Aussagen über Cunanen - was er tat, was er liebte, wo er war - schlicht falsch oder sehr zweifelhaft. Der Täter Cunanen hat mit dem Medien-Monster wenig gemein; jedenfalls ist das nicht überprüfbar. Die Nachricht ist nicht neu, und Oswald formuliert sie auch nicht sonderlich brillant. Er liebt sinnlose Doppelungen ("falsche Illusionen") und redundante Texte. Aber er hat Jurist gelernt und ein gutes Gespür, wie Fakten miteinander vernetzt werden, bis sie einen Sinn ergeben, läßt man das Netz weg, werden die Fakten banal. Der altkluge Hinweis im vorigen Satz, Oswald sei Jurist, ist solch eine sinnlose Verknüpfung. Erich Sauer
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Georg M. Oswald: Party Boy. Eine Karriere Knaus 1998, 143 S., 29,90 DM |