GESCHICHTE

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Der Historiker Ernst Nolte im freundlichen Briefwechsel mit Francois Furet

Es gibt ein ziemlich fürchterliches Buch, Der europäische Bürgerkrieg 1917-1945 - Nationalsozialismus und Bolschewismus, das seinem Verfasser Ernst Nolte eine Menge Ärger eingebracht hat. Er beschreibt darin die bolschewistische Revolution als Beginn eines "europäischen Bürgerkriegs", in dessen Verlauf die Nazis nicht viel mehr sind als die Antwort des verschreckten Bürgertums auf die grauslichen Ereignisse in der Sowjetunion.
Neben dieser provokanten und teils bekloppten These hat Nolte in diesem Buch in vielen Details den Verdacht aufkommen lassen, er fühle sich nicht unwohl als Kopf einer Neuen Rechten, welche die jüngere deutsche Geschichte gern hübschgeschminkt hätte. Natürlich hätten die Deutschen mit dem Einmarsch ins neutrale Belgien Völkerrecht verletzt, aber, sagt Nolte, hätten sie's nicht getan, hätten's andere getan, was wahrscheinlich stimmt, aber eben für einen Historiker eine seltsame Argumentation ist. Die deutsche Wirtschaftspolitik sei bis 1939 "vergleichsweise liberal" gewesen, Hitler sei zuerst Anti-Bolschewik und dann erst Antisemit gewesen, die KZ hätten vor allem "die Transzendenz" des Menschen angegriffen; ein Gedanke,. den Nolte bereits Anfang der 60er in seinem Werk "Der Faschismus in seiner Epoche" formulierte.
Nolte ist ein Meister der provozierenden Zuspitzung mit manchmal üblem Zungenschlag. Der Satz etwa, Kommunisten in Deutschland dürfe man nicht zum Widerstand zählen, da sie ja im Falle ihres Sieges die Nazis ebenso verfolgt hätten, wäre ihm besser nicht eingefallen. Der europäische Bürgerkrieg ist ein problematisches Buch.
Unter dem Titel »Feindliche Nähe« ist jetzt ein Briefwechsel erschienen, den Nolte mit seinem eher linken, inzwischen verstorbenen Kollegen Francois Furet über das Buch und seine Thesen führte. In diesen Briefen und auf Furets freundliche Einwände hin stellt Nolte einiges von dem richtig, was in seinen Büchern - absichtlich? - mißverständlich formuliert worden war. Die Rolle des Antisemitismus bei den Nazis, der berühmte "kausale Nexus" zwischen Gulag und Auschwitz, Noltes Position zur "Auschwitzlüge" - hier stellt er vieles richtig und in einen vernünftigen Zusammenhang. Wie sehr man Nolte mißverstehen konnte, mag folgendes Zitat belegen, in dem sich Nolte zu Furets kommunistischer Vergangenheit äußert: "Wenn es die Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts als Aufbegehren gegen die frühen und schlimmen Erscheinungsformen der Weltmarkt- und Konkurrenzwirtschaft nicht gegeben hätte, wenn am Ende des Weltkriegs bloß pragmatische Überlegungen angestellt worden wären und kein militanter Pazifismus in die Erscheinung getreten wäre, müßte man der Menschheit verzweifeln. Noch im historischen Unrecht ihrer utopischen Illusion hatte die marxistisch-kommunistische Bewegung Größe, und wer ihr ganz fremd blieb, hat sich heute eher Vorwürfe zu machen als derjenige, der sich dafür engagierte."
Wer glaubte, Nolte einordnen zu können, darf nach diesem Briefbändchen ein paar Korrekturen vornehmen. Weil Nolte sich hier erstmals ein bißchen für den Irrsinn entschuldigt, den seine mißverständlich formulierten Thesen hervorgerufen haben. Die Neue Rechte wird ihn trotzdem weiterhin in Anspruch nehmen (können). Aber daß der Faschismus nur die Reaktion auf den Bolschewismus sei - das hat Nolte hier endlich zurückgenommen. Zeit wurd's.
Erich Sauer
Ernst Nolte: Der europäische Bürgerkrieg 1917-1945. Nationalsozialismus und Bolschewismus F.A.Herbig, München 1987/97, 574 S., 98,- DM
Francois Furet / Ernst Nolte: »Feindliche Nähe« Kommunismus und Faschismus im 20. Jahrhundert. Ein Briefwechsel Aus dem Französischen von Klaus Jöken und Konrad Dietzfelbinger. F.A. Herbig, München 1998, 125 S., 29,80 DM