NAZIS LIGHT
Reine Notwehr Eigentlich hat Stalin den II. Weltkrieg angefangen. Der neue Schlager auf dem Revisionistenmarkt lautet: Hitler hat zwar die Sowjetunion überfallen, aber mehr aus Notwehr heraus. Seit der Öffnung russischer Archive 1991 sind einige dubiose Dokumente aufgetaucht. Es gibt Aufmarschpläne, Tages- und Mobilmachungs-Befehle und neuerdings sogar eine frisch gefundene Stalin-Rede, die diese Deutung zulassen. Allerdings gibt es keinen eindeutigen Beweis. Schlimmer noch: auf deutscher Seite gibt es auch nicht ein einziges Dokument, das andeutete, Hitler und die Wehrmacht seien sich einer konkreten sowjetischen Bedrohung bewußt gewesen. Der Angriffskrieg war eben einfach ein Angriffskrieg. Die Revisionisten in Rußland und ihre deutschen Freunde gehen allerdings weiter: Der kriegslüsterne Stalin wollte Deutschland um jeden Preis überfallen, um den Kommunismus in Europa zu installieren. Was erstens bedeutet, daß die Deutschen sich wie die Lämmchen hätten aufführen können und trotzdem überfallen worden wären, und zweitens: es ist ein Verdienst Hitlers, diesem abscheulichen bolschewistischen Attentat zuvorgekommen zu sein, sozusagen in visionärer Notwehr 20 Millionen Sowjetbürger ermordet zu haben, was dann leider am russischen Winter und der Panne bei Stalingrad im Ergebnis doch scheiterte. Der deutsche Hobby-Forscher Wolfgang Strauss stellt in seinem Buch Unternehmen Barbarossa und der russische Historikerstreit die stalinistischen Greuel derart exklusiv vor - man ist bei der Lektüre geradezu dankbar, daß die Deutschen die Sowjetunion angriffen. Verbrechen der Wehrmacht (und vor allem der 6. Armee) hat es nicht gegeben, und selbst die Kriegstoten gehen irgendwie nicht aufs deutsche Konto. Strauss zitiert den Soziologen Kurganow, der die "Opfer des ständigen inneren Krieges der Sowjetregierung gegen das eigene Volk" auf 66 Millionen berechnet, und Strauß schlüsselt für uns auf: "3 Millionen im Bürgerkrieg 1917-21, 50.000 im Krieg gegen Finnland 1918, (à) 20 Millionen im Zweiten Weltkrieg" - es ist schon eine besondere Leistung, die 20 Millionen sowjetische Tote des II. Weltkrieges nicht mal annähernd den Deutschen und ihren faschistischen Hilfstruppen, sondern Stalin und den Kommunisten "gutzuschreiben". Selbst wenn man die (unbewiesene und absurde) revisionistische These glaubt, Hitler sei mit seinem Überfall auf die Sowjetunion Stalin nur um wenige Wochen zuvorgekommen, selbst wenn man in Rechnung stellt, daß Stalins Versagen als Oberbefehlshaber der Roten Armee in den ersten Kriegswochen fürchterliche und unnötige Verluste zufügte: es waren doch deutsche Mörder, die da überfallartig in ein Land einfielen, mit dem sie ein Bündnis eingegangen waren. Interessant ist, nebenbei noch, wie auf der Rechten inzwischen der von Nolte losgetretene Streit gehandhabt wird. Auschwitz und die Gulags sind nicht zu vergleichen, denn "der stalinistische Terror ist unvergleichlich". Und überhaupt, so Strauss, haben die Deutschen mehr Slawen als Juden ermordet. Was das bedeuten soll, erklärt er uns allerdings nicht. Ebensowenig erwähnt er den ausgeprägten Antisemitismus der russischen Revisionisten. Und wenn er aufzählt, wie viele Divisionen Stalin an der Grenze zusammenzog und wieviel weniger die Deutschen stationiert hatten, "vergißt" er zu sagen, daß deutsche Divisionen im Schnitt doppelt so groß waren wie die sowjetischen; immerhin: 100 Seiten später, in anderem Zusammenhang, wird es nebenbei erwähnt. Erich Sauer
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Wolfgang Strauss: Unternehmen Barbarossa und der russische Historikerstreit Herbig, München 1998, 208 S., 39,90 DM |