NAZIS LIGHT (I)

DER MEINUNGSPLURALE

Nazis Light - das ist Adolf ohne Nebenwirkungen, Rassismus ohne Gaskammer, Nationalbewußtsein mit Xenophobie und die verlogene Forderung, sich "objektiv" mit der deutschen Geschichte zwischen 33 und 45 auseinanderzusetzen. Auf dem Buchmarkt macht sich diese Pest immer mehr breit. Weshalb wir ein paar Musterexemplare eingesammelt haben. Heute: Der Meinungsplurale.

Ein weißer Deutscher, der 1986 nach Südafrika auswanderte, ist verdächtig. Dr. Claus Nordbruch, "Privatdozent" und "Autor zahlreicher Bücher zu gesellschaftskritischen Themen" (wieso können diese Nationaltümler nie richtig deutsch...), wie uns der Klappentext zu Sind Gedanken noch frei? versichert, ist inzwischen wieder in der alten deutschen Heimat tätig (seit die Neger nicht mehr vom Bürgersteig springen müssen, wenn ein blonder Weißer kommt, macht Südafrika nur noch halb so viel Spaß). Weißgott nicht als erster Konservativer "untersucht" er das "Meinungs- und Zensurkartell" in Deutschland, das - natürlich! - fest in linker Hand sei und alle Andersdenkenden unterdrückt oder abwatscht. Er kann sogar eine ebenso beängstigende wie unzuverlässige Statistik präsentieren, derzufolge genau vielzuviel Prozent deutscher Publizisten "links" oder "liberal" seien; ähnliche Zählungen kennen wir von Nazi-Autoren aus den späten 20ern.
Immerhin: Dr. Nordbruch versucht's pfiffig. Nicht jeder Lightnazi käme auf die Idee, Klaus Wagenbach für Ernst Nolte in Stellung zu bringen, Antje Vollmer für die "Auschwitzlüge" in Anspruch zu nehmen und sich zu empören, wenn irgendwo ein linker Meinungsäußerer zensiert wird. Derlei Beispiele, die Nordbruch sehr ernst präsentiert, sollen Objektivität vorgaukeln; allerdings macht er's dermaßen platt und durchschaubar, daß noch der dümmste Skin in Magdeburg nach drei Buchseiten merkt, was die Absicht ist. Es ist ja eine durchaus zu diskutierende Sache, ob man auch Nazis völlige Meinungs- und Publikationsfreiheit gewähren will - und eine ganz andere, "geistige, seriöse Auseinandersetzung" mit den international desavouierten Auschwitzleugnern Ernst Zündel oder Fred Leuchter zu fordern, wie Nordbruch es tut.
Weil er diese Sachen ständig vermischt (und zwar immer in die gleiche Richtung), geht es ihm nicht einfach ums Thema, sondern um seine Gesinnungskumpels. So kann er ganz beleidigt sein, wenn ein konservativer Flachdenker publizistisch beleidigt wird; er selbst hingegen hat keine Probleme damit, Vertreter abweichender Meinung durch sein ganzes Buch hindurch - wie sagte man früher so schön: - ehrabschneidend zu behandeln. Würde er so mit seinen Kumpels umspringen, käme Nordbruch vom Paukboden gar nicht mehr 'runter.
Besonders ermüdend sind solche Denk-Fundis wie Nordbruch zu lesen, weil sie permanent die Begrifflichkeiten verwechseln. Fehlende Meinungsfreiheit ist noch keine Zensur, Pluralismus nicht mit "Alles ist möglich" zu übersetzen, Motivation ist was anderes als Motive es sind, und Voltaire für das Erscheinen der Rechts-Postille "Junge Freiheit" in Anspruch nehmen zu wollen, ist zumindest - mutig. Oder, seien wir brutal und zitieren Nordbruch wörtlich: "Das demokratische Staatssystem der Bundesrepublik Deutschland kann seinen Anspruch, als freiheitlich und pluralistisch zu gelten, nur dann wiederherstellen und bewahren, wenn die Meinungs- und Willensbeiträge aller Bürger in den Parlamenten repräsentiert werden" (Hervorhebung im Original). Das meint er so? - ein "demokratisches Staatssystem" macht keinen "Anspruch geltend", sondern ist das Ergebnis eines Anspruchs; was ein "Willensbeitrag" ist, bleibt Nordbruchs Geheimnis; und um die Idee, die Beiträge aller Bürger zu repräsentieren, verwirklichen zu können, kriecht er am besten in die Bären-Höhle zurück, aus der er gekommen ist.
Wenn man die politischen Ekelgefühle, die einen bei der Lektüre befallen, einmal beiseite läßt, ist an Nordbruchs Buch vor allem ärgerlich, daß es so dumm ist. Vielleicht gibt es ja ein Meinungskartell, vielleicht werden konservative Meinungen unterdrückt (nein! - aber als Hypothese ist das zulässig), auf diese oberflächliche, unverschämt plumpe, unsystematische Art und Weise jedoch ist das nicht nachzuweisen. Daß Nordbruchs Manuskript vom S. Fischer Verlag abgelehnt wurde, ist noch kein Hinweis auf den Orwell-Staat. Daß Nordbruch behauptet, unbequeme und drastische Wahrheiten dürften in Deutschland nur von Juden formuliert werden, zeigt, welche Wahrheiten er meint. Nordbruch ist der Teppichausleger für jene "Historiker", die entdeckt zu haben glauben, Stalin hätte den II. Weltkrieg entfesselt, die Wehrmacht sei eine ganz normale Truppe gewesen und die Juden seien alle an Fleckfieber und Heimweh gestorben. Ob man derlei Meinungen gesetzlich verbieten sollte, darüber kann man streiten. Daß man sie, wo immer es geht, lächerlich machen und unterdrücken sollte, nicht.
Nebenbei: Daß einer wie Nordbruch den Autor Martin Walser "brillant" nennt, ist kein Unglück. Das hat Walser inzwischen verdient.
Erich Sauer
Claus Nordbruch: Sind Gedanken noch frei? Zensur in Deutschland Universitas, München 1998, 311 S.