KLASSIKER

Schmutz und Schund

William S. Burroughs und sein »Naked Lunch«

Dieses Buch ist 50 Jahre alt, mindestens. Aber erst jetzt erscheint es in einer philologisch ordentlichen Ausgabe, erstmals mit einem vollständigen und neu übersetzten Text sowie einem Anhang mit Briefen von William S. Burroughs und einer Publikationsgeschichte dieser "Bibel der Gegenkultur Amerikas", wie der Verlag dazu sagt.

Das ist ganz sicher des Lobes wert, weil Naked Lunch enorm einflussreich war aber oft eher über Hörensagen wirkte. Musikgruppen wie Steeley Dan, Soft Machine oder eben Naked Lunch holten ihre Namen aus dem Buch, große Pornographie-Prozesse machten es berüchtigt, und 1991 machte David Cronenberg einen Film zum Buch, der immerhin eine Spur von Handlung in das wüste Chaos aus Drogenrausch, Entzugserscheinungen, Alien-Fantasien und garstigem Sex brachte. Naked Lunch war die dunkle Seite des "On the Road"-Traums von Burroughs Kollegen Jack Kerouac, Horror statt Hippie, zerquälte Selbstbetrachtung statt Auf- und Ausbruch. Aber auch bitterböse Satire auf sabbernde Junkies und stahläugige Rechtschaffende.

Allerdings erfand Burroughs für Naked Lunch auch eine Schreibweise, die eigentlich jeden Gedanken an eine "ursprüngliche Fassung" erledigt. Er montierte jahrelang Texte aus verschiedenen Zusammenhängen immer neu, mal wiederholte er ganze Passagen, mal warf er andere wieder weg, und gerüchteweise enstand die erste Veröffentlichung 1959 nur, weil Kerouac alle Blätter aufeinanderstapelte, die er bei Burroughs auf dem Boden fand.

Vermutlich hätte Burroughs, wäre er nicht 1997 gestorben, heute eine Hypertext-Ausgabe bevorzugt. Oder wenigstens ein Register, weil sein Buch, von dem er in den Anhängen sagt "Dies ist kein Roman", eigentlich erst in den Rückbezügen lesbar wird.

Wing
William S. Burroughs: Naked Lunch. Die ursprüngliche Fassung Hrg. von James Grauerholz, Barry Miles. Aus dem Amerikanischen von Michael Kellner. Nagel & Kimche, München 2009. 384 S., 24,90