STREET-JAZZ

Drum'n'Kick

Mandy Sayer steppt sich durch die Achtziger

Damit man auch gleich merkt, daß wir in einer Künstlerbiographie sind, fängt sie in der Mitte an. Und mit einem Einkaufswagen auf der Columbus Avenue, weil es um Bohemians geht. Wenn die australische 20jährige das Wort nur gekannt hätte! Wenn ihr Vater damals das Vorspielen bei Louis Armstrong nicht verpatzt hätte! Wenn Mandy Sayer (35) ihre eigene Geschichte nicht eh noch einmal ganz neu geschrieben hätte, in diesem fluffy creative writing Style, den die gelernte Tänzerin aus New York nach Sidney mitbrachte! Da tanzt sie heute Kunst - und kriegt Literaturpreise.
"Meinen ersten Orgasmus hatte ich mit neun" - schiebt sie nach, als wir schon wissen, daß ihr Dad, in den Staaten versackt, als Wander-Schlagzeuger downunder zu Familie gekommen, noch einmal seinem eigenen Beat folgt. Und die Tochter ihm folgt. Um ihren eigenen zu finden. Bis nach New Orleans und New York, wo man 200 Dollar mit einer Nummer machen kann. Zu Big-Band-Jazz vom Band und mit Papa an den Live-Drums. Hach, Künstler sein.
Bzw. irgendjemand sein. Eine Story haben. Als Zitier-Folie dienen Lewis Carrolls Bücher, die Vater und Tochter beim Herumreisen mitschleppen. Und den Joints (seine, damals) und Trips (ihre, Anfang der 80er) die Weihen der Erfahrungsverschärfung gibt.
Das funktioniert hervorragend, solange Mandy Sayer zeitlos zwischen Kindheit und Twentum hin- und herspringt, zu jeder Herkunfts-Episode eine Gegenwart als Folge oder Veränderung erzählt, zu jeder Station ihrer Lebens-Tournee eine ganz oder gar nicht vergleichbare des Vaters heraufbeschwört.
Dann zieht es sich etwas, mit immergleichen kerouacesken Episoden, im immergleichen Shuffle-Rhythmus, mit immer neuen Männern, die Mandy, ihre Heldin, oder Alice, beider Alter Ego, Step-Schritt für Step-Schritt erwachsen werden lassen. Aber immerhin stets auf der Straße, vor den Türen der bekannten Pop-Achtziger. Mandy/Alice wird nicht berühmt, aber sie lernt den Tanzlehrer von Billy Idol kennen - Alice/Mandy erklären nicht die Welt, aber sie schwelgen im Men-tholgeruch alter Fußgelenk-Bandagen - Traumzeit für Alice ist in den Einzelbeobachtungen stärker als im Gesamtentwurf ... und insgesamt ein bißchen zu lang. Aber vielleicht ist das die australische Art, sich an sich selber heranzutasten?

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WING
Mandy Sayer: Traumzeit für Alice. Die Reise in mein Wunderland Aus dem Englischen von Regina Winter. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1999, 434 S., 32.- DM