ABENTEUER
Bärengarn und Gimpel
Walter Moers hat seinem Käpt'n Blaubär einen sehr langen Roman geschrieben.
Wahrscheinlich hat seit Ulrich Wickert kein Autor die Literaturgeschichte so hemmungslos geplündert. Die 13 1/2 Leben des Käpt'n Blaubär ist Parodie, Seemansgarn, Kinderbuch und Nonsens-Fibel in einem. Und vollkommen schamlos, wenn es darum geht, Schiller, Michael Ende, Tove Jansson ("Die Mumins"), Frank Herbert ("Der Wüstenplanet") und überhaupt die ganze Trivialkultur zu plündern.
Treibend in einer Nußschale wird der kleine Blaubär von den Zwergpiraten aufgenommen: "Die Zwerpiraten befuhren die Meere auf winzigen Schiffen, immer auf der Suche nach etwas, das klein genug war, damit sie es kapern konnten. Was sehr selten geschah. Eigentlich nie. Um die Wahrheit zu sagen: In der ganzen Geschichte der Seefahrt wurde niemals auch nur ein einziges Schiff, nicht mal ein Ruderboot, von Zwergpiraten erfolgreich gekapert."
Der kleine Blaubär erlebt seine ersten fünf Lebensjahre unter den Zwergpiraten, die sich rührend um ihn kümmern: "Ganze Tage verbrachten sie damit, mir schauerliche Piratenlieder vorzusingen, mit Fluchen, dem Hissen von Totenkopfflaggen und dem Anfertigen von Schatzkarten. Einmal versuchten sie sogar mir zuliebe, ein Schiff zu kapern, das mindestens tausendmal größer war als ihr eigenes. An diesem Tag habe ich alles gelernt, was man über das Scheitern wissen muß."
Als er zu groß (und zu dick) für die Zwergpiraten wird, setzen die ihn auf einer Insel aus, wo er Bekanntschaft mit den Klabauter-Geistern macht, einer fleischfressenden Insel, einem kurzsichtigen Rettungssaurier - und der Schule des Professor Nachtigaller, wo man lernt, was die Welt im Innersten zusammenhält: "Ich bin neuerdings der Ansicht, daß sich das Weltall gar nicht ausdehnt. Es zieht sich auch nicht zusammen. Es wackelt nur."
Von Nachtigallers Schule zieht es den Blaubär in die Süße Wüste (wo er eine Fata Morgana mit flüssigem Zucker am Boden verklebt), in das Hirn eines Riesen, das sagenhafte Atlantis (Die Stadt mit Zukunft"), wo er als Meister der Lügengladiatoren reüssiert (sein in einer Arena ausgetragenes Lügenduell mit dem alten Champion ist ein Buch für sich).
Ein Blaubär hat 26 Leben, erfahren wir. Und müssen daher mit einem zweiten Teil rechnen. Dabei hat schon der erste seine Längen. Zwar ist Moers ein Meister der skurrilen Details, der seltsamen Namen und des lakonischen Humors, aber ein Großteil seines Romans besteht aus Listen und Aufzählungen: Drei Seiten lang beschreibt er die verrückten Einwohner von Atlantis (was wirklich komisch ist), aber einen Erzählkosmos, in dem diese Wesen dann agieren könnten, entwirft er nicht. Er schildert die komischen Bräuche der Gimpel (eine wundervolle Parodie der Herbert'schen "Freemen"), aber eine Geschichte mit ihnen gibt es nicht.
Trotzdem amüsiert man sich prächtig mit dem blauen Bären. Moers hat einen Tonfall gefunden, der noch die eintönigste Aufzählung unterhaltsam klingen läßt. Etwa die Aufzählung der seltsamen Namen, mit den die Gimpel sich schmücken: Fneckfepfepperepell M. Schrabschubschadenschrublade - "wobei ich wirklich nicht wissen möchte, wofür das M. stand". Das ist komisch.
Victor Lachner
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