MÄDELS

Koks-Guide

Das wilde schnelle Leben einer 19jährigen in Liverpool

Liverpool in der Gegenwart: Millie, 19 Jahre, Studentin. Papa Professor, Mama abgehauen. So weit, so unspektakulär. Mit 14 verführte sie den 37jährigen Kollegen ihres Vaters, zwei Beziehungen später stellt sie fest, dank der Pornohefte ihrer Kumpels, den Brüdern Billy und Jamie, dass Männer doch nicht ganz ihr Ding sind, was jedoch nicht heißen muss, dass sie den Herren der Schöpfung ganz entsagt.
Jamie ist ein paar Jahre älter als sie und ihr bester Kumpel und langjähriger Beschützer. Er hat jedoch kaum Durchsetzungskraft gegenüber Millie. Dafür mehr Vernunft. Die beiden verbinden so einige durchzechte Nächte, die Begeisterungsfähigkeit für den grauen englischen Himmel sowie diverse Drogenexzesse.
Während für Millie diese Zeiten nie enden sollten, wird Jamie klar, dass irgendwann Schluss mit Lustig ist. Millie, die allein durch ihr Aussehen und ihr rotzfreches Großmaul eigentlich immer das bekommt was sie will, fällt es schwer zu akzeptieren, dass Jamie heiraten will und erwachsen werden möchte. Das bringt eine Menge Ärger, bestens geschildert im Stereo-Sound, mal von Jamie, dann wieder von Millie.
Trotzig und wild auf die Liverpooler Nächte zieht Millie alleine los, kämpft sich durch die Barrios, um dann, mit Koks zugepumpt, bei einem Zwischenstopp zu Hause festzustellen, dass, wie soll es auch anders sein, nicht ihre Mutter an der Trennung Schuld ist, sondern der geliebte Vati aufgrund von diversen Affären mit Studentinnen. Und ausgerechnet jetzt ist Jamie nicht für sie da...
Am Ende des Buches kennt man jede Kneipe in Liverpool, jeden Kiez und eine Fülle an Möglichkeiten, wie man an Koks kommt, Überdosen nimmt und trotzdem nicht daran stirbt. Was genau die junge Frau zu den selbstzerstörerischen Streifzügen bewegt, lässt sich nicht genau sagen. Es könnte die schlichte Flucht vor der Uni und den von ihr verhassten Studenten oder vor der bürgerlichen Gesellschaft sein, in die sie nicht reinpassen will. Vielleicht ist es aber auch einfach das Schicksal eines Scheidungskindes.
Helen Walsh, 28 Jahre jung, ist in der Nähe von Liverpool aufgewachsen. Obwohl sie das Leben so real krass beschreibt, mag man nicht ganz glauben, was den Charakteren da so alles widerfährt. Auf die Schilderung eines extremen Höhepunktes folgt der tiefe Absturz. Der Einblick in ein ziemlich wildes und verknotetes Leben ist schwer nachzuvollziehen, aber trotz allem lesenswert.
Juliane Deppermann
Helen Walsh: Millie. Übersetzung von Clara Drechsler und Harald Hellmann. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006, 304 S., 8,95 ISBN: 3462036750