MILLENIUM

1000 Jahre danach

Zwei ganz veschiedene Bücher zur verfrühten Zeiten-Wende

Viel dieser Sorte gibt's noch nicht. Brach plötzlich etwa Bildung aus unter Lektoren, Schreibern, Marktbeobachtern? Bereiten die ihre "Bücher für das nächste Jahrtausend"-Welle wirklich richtig erst für Ende 2000 vor? Oder ist der äonale Seitenwechsel einfach kein Thema mehr, außer für seltsame Doktoren?
Jedenfalls kein einfaches. Der französische Kulturgeschichtler Jean-Paul Clébert hat darüber eine ziemlich belesene Geschichte der Endzeitstimmung geschrieben; und weist schon auf den ersten Seiten nach, daß die, die Stimmung, eine häufige war und ist, aber beim ersten mal eigentlich erst nachträglich beispielhaft auf das Jahrtausend-Datum zurechterfunden wurde. Es folgen sehr viele Lehrstücke aus dem Mittelalter, und ein paar aus der Gegenwart: was ging wirklich schief, vor was herrschte die Angst, und warum ist beides so selten dasselbe? Welche Welten drohen da eigentlich zu enden (damals die christliche, heute die westliche), und warum sind Furcht und Furor so undeutlich verteilt auf Weltuntergang, Endzeit, Apokalypse, Revolution, New Order ...
Gut an Clébert ist, daß er nur referiert, ohne fertige Groß-Thesen zu liefern; am besten ist, daß er auch für die Gegenwart hauptsächlich französische Quellen benutzt: die kennt man hier eh viel zu wenig. Und am verstörendsten, daß er trotz aller bedächtigen Einschätzungen (etwa "der Rassismus ist eine viel größere Gefahr als die Einwanderung") Reste prophetischer Ankündigungen einfach mal so stehen läßt: eine berühmte alte Liste aller Päpste z.B. (Pseudo-Malachias) endet ums Jahr 2000, einen nach dem jetzigen.
Der könnte durchaus Calo Maria Martini heißen. Der Kardinal von Mailand wird in Kurienkreisen als Woityla-Nachfolger gehandelt - und bei Intellektuellen als der klügste und weltoffendste Pfaffe seiner Zeit. Mit Umberto Eco, dem vermutlich höflichsten und theologisch ausgebildedsten Agnostiker Europas, wechselte er über Jahre öffentliche Briefe, die jetzt als Woran glaubt, wer nicht glaubt? als Buch erschienen; ergänzt um Kommentare hierzulande wenig bekannter Moraltheologen und -Philosophen, linker Politiker und Journalisten.
Das Ergebnis ist inhaltlich eher dürftig (der Papst ist eben katholisch, die Ungläubigen fressen trotzdem keine Kinder) und in der Gedankenentwicklung etwas unbefriedigend: Eco/Martini argumentieren so vorsichtig aufeinander ein, daß keiner keinem Fehler anzukreiden wagt - während die frecheren Kommentare nur von Martini, und nur á la "danke für ihre Anregungen" schlußbemerkt werden. Aber ein beispielhafter Anfang ist es doch: man ist nicht automatisch ein Idiot, nur weil man Frauen nicht zum Priester weiht - oder sich als Nicht-Frau, Nicht-Priester oder Nicht-Christ darüber ärgert (auch wenn es hilft). Und man kann sehr ernsthaft über "richtiges Verhalten" diskutieren, ohne vorauszusetzen, daß der andere am Ende meiner Meinung ist.
Außerdem man kann sich, leider, sehr genau vorstellen, wie ein ähnliches Buch in Deutschland ausfiele: "Eine Frage der Ethik" - Pfarrer Hintze gegen Gregor Gysi zur Musik von Toto Blanke. Dann doch lieber diesen Martini vor dem letzten Tag. Durchaus angerührt.
WING
Jean-Paul Clébert: Die Angst vor dem Weltuntergang Eine Geschichte der Endzeitstimmung. Aus dem französischen von Rudolf Brenner. Bastei-Lübbe [64154], Bergisch-Gladbach 1998, 360 S., 16.90 DM
Carlo Maria Martini/Umberto Eco: Woran glaubt, wer nicht glaubt? Aus dem Italienischen von Burkhrd Kroeber und Karl Pichler. Paul Zsolany, Wien 1998, 160 S. 24.- DM