FRAUEN

Die Sache mit dem Sex

Die seltsamen Geschichten der Silvia Szymanski

»Liebe ist die Antwort. Aber während du auf sie wartest, stellt Sex ein paar gute Fragen.«
Woody Allen



Ich hatte meiner Freundin versprochen, ich komm mit. Sie wollte in einem Café einen Mann wiedersehen, an den sie immer denken mußte. Oder wollte. Mußte und wollte, die alten Feinde, diesmal fest verquickt. Und 'immer' ist noch untertrieben. Und 'denken' ganz das falsche Wort." - derart verquer stolpern sich die Heldinnen der Silvia Szymanski durch die Geschichten. Es sieht manchmal aus wie Liebe, fühlt sich auch so an, aber die Erlösung allein bringt der Sex. Keine der Frauen in den Geschichten Kein Sex mit Mike erlebt die Liebe, die meisten den Sex, guten, sättigenden Sex: "Ich hätte mit meiner Möse rülpsen mögen, so satt war ich."
Das Abenteuer besteht nicht darin, sich auf einen Mann einzulassen, sondern ihn 'reinzulassen: "Es tat gut. Ich glühte vor Geilheit und Angezogenheit, und wir machten es ein paarmal. Beim ersten Mal kriegte ich Samen quer über mein Gesicht, dicken, weißen Kleistersamen, es war mir eine Ehre." Hinter den Geschichten allerdings lauert der Verdacht, dass diese ebenso fröhliche wie einsam machende Sex-Lust der Fluch des Erwachsenwerdens ist. Einen Jungen beobachtet die Szymnaski so: "Er sah wild aus um den Mund und um die Nase; wild und eingesperrt. Er war aus der Kindheit gekommen und begann, den Betrug zu ahnen. Er spürte, er wurde verarscht von etwas, das ihn nicht kannte, nicht liebte, sondern nur benutzen wollte."
Obwohl die Protagonistinnen der Geschichte nichts miteinander zu tun haben, verdichten sie sich doch zu letztlich einer Gesamtbiografie (die Autorin ist 40, und wenn sie von Jugend schreibt, zeigt man sich die Neil Diamond-Plattensammlung - und wie das passt!). Fast immer ist es eine neugierige, sich selbst gefährdende Frau, die da spricht. Nach dem Motto "Ich bin kein Feigling, ich habe nur immer Angst" bleibt sie dem Leben auf der Spur: "Es hilft nicht, etwa mit einem Blatt statt mit einem Barthaar anzufangen, weil man denkt, das wäre vielleicht einfacher zu begreifen, weil es kein Mensch ist. Du stehst nur dumm vor diesem Blatt und packst es nicht. Wie kommt das Grün, was macht sich solche Mühe, alles so auszuarbeiten, bis es dann doch stirbt? Wo will es hin? Es ist lebendig. Jede kleine Sache ist ein Eingang in etwas Unendliches. Da will ich durch! Ich will es wissen! Das kann dauern. Macht nichts. Ich bleib dran."
Das klingt nun gar nicht nach Romantik. Was da gesucht wird, ist handfest. Weshalb die Geschichten selbst fast keinen Inhalt haben: Girl meets Boy - als Babysitter, auf einem Schrottplatz, auf dem Zimmer - mehr geschieht nicht. Mehr ist es ja auch nie. Und trotzdem enorm amüsant.
Die schönste Geschichte handelt von einem Zimmermädchen, in der Ich-Form erzählt sie uns, wie beschissen traurig das Leben ist, wie mies der Job und überhaupt das Leben: "Lebendigsein ist schrecklich. Es heißt einen Fehler nach dem anderen machen". Dann sieht sie einen Mann. "Eines Tages wird er tot sein und ich auch. Wurde das in die Welt eingebaut, damit man sich beeilt?" Und es ergibt sich, dass sie zusammen in ein Zimmer gehen. Und einen richtig guten Fick erleben. Danach hat die Geschichte nur noch ein paar Zeilen, und alles ist anders: "Meine Sinne sind scharf. Die Schönheit der Welt ist klar und intensiv, die Luft ist wunderbar und frisch zu atmen. ( ...) Da kommt der Mann in den Frühstücksraum, mein Herz klopft fester. Er lacht, er mag mich noch. Ich mag ihn auch. Ich hoffe, er macht mit, solange ich das will. Und ich will wahrscheinlich ohne Ende. Mit Pausen gerne, aber Ende? Nein." Manchmal kommt die Liebe aus dem Sex. Und die Welt sieht danach ganz anders aus.

Victor Lachner
Silvia Szymanski: Kein Sex mit Mike. Erotische Geschichten. Campe Paperback, Hamburg 1999, 190 S., 24,- DM