STORIES
Seltsame Schweden
Ein Kaleidoskop ziemlich verrückter Menschen
Ein Mann erstürmt einen Gipfel des Himalaya. Und küsst im Überschwang der Gefühle die Gebetsplatte beim Gipfelstein. Und friert dort fest, mit Lippen und Zunge, den Hintern in den Himmel gereckt. Dieser Einstieg wird nur noch durch die Methode getoppt, mit der sich der Ich-Erzähler schließlich befreit und ist ein genialer Beginn für einen Roman, der von unverbrauchten, poetisch-komischen Bildern nur so strotzt.
Populärmusik aus Vittula, geprägt durch den auf Anhieb sympathischen Helden Matti, ist ein Buch der Extreme. Vom Dach der Welt aus führt Mikael Niemi seine Leser direkt nach Pajala, einem von der restlichen Welt abgeschnittenen Nest weit oben in Schweden, dicht an der Grenze zu Finnland, wo der Elch haust, wo Dunkelheit und Mythen leben, wo die Kraft der Religion nur einen Konkurrenten hat: Den Rock'n'Roll. Der tönt zwar nur leise bis hinauf in den äußersten Norden, wird aber umso tiefer empfunden. Die Band, die Matti mit seinem besten Freund Niila und den Kumpels Holgeri und Erkki gründet, befindet sich musikalisch nicht gerade auf der Höhe, ist aber Inbegriff ihrer Freundschaft und eines explodierenden Lebensgefühls.
In einer Landschaft, deren Beschreibungen den klirrenden Frost geradezu spüren lassen, geistert schon mal eine untote Großmutter umher, dort holen die Geheimnisse des Waldes den Menschen noch manchmal ein, und seelische Abgründe werden schonungslos offen gelegt. Mystisches mischt sich mit ganz Reellem wie abenteuerlichen Bandenkriegen oder nicht weniger draufgängerischen Besäufnissen, die von Niemi mit besonderer Heiterkeit und Detailtreue beschrieben werden. Die Aufklärung der Jugend findet in der Sauna statt, Väter warnen ihre Kinder besonders vor der Gefahr der Schwermut, und wer einen Sommerjob braucht, macht Ratten platt.
Jedes einzelne Kapitel bildet eine Geschichte für sich, die spannend ist, nachdenklich oder komisch, aber stets turbulent und originell. Kunstvoll zu einem Ganzen verwoben, birgt das Buch, das mit dem "Augustpreis" den wichtigsten Literaturpreis Schwedens gewann, wunderbare Beschreibungen eines ziemlich verschrobenen Menschenschlags und gelungene Erklärungen einer abgelegenen Welt.
Julika Pohle
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