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Changeling

Männlein oder Weiblein? - eine ungewöhnliche Identitätssuche

Die Geschichte von Calliope Stephanides nimmt ihren Anfang vor ihrer Geburt. Die Geschwister Desdemona und Lefty, griechische Bewohner eines Bergdorfes in Kleinasien, fliehen 1922 vor den Türken nach Amerika. Auf dem Schiff heiraten die beiden, alsbald erblickt Sohn Milton das Licht der Welt und trägt in sich ein durch Inzest mutiertes Gen, das bei seiner Tochter Calliope als 5-alpha-Reduktase-Mangelsyndrom in Erscheinung treten wird. Was das genau bedeutet, erfahren wir über lange Strecken des Romans Middlesex nicht so genau. Doch zuweilen webt Autor Jeffrey Eugenides Episoden aus dem Erwachsenenleben Calliopes in die Abhandlungen über Werden und Wirken der Eltern und Großeltern, so dass wir begreifen: Das nach der Muse für epische Dichtung benannte Kind ist eigentlich ein Junge. Zwar wächst es als Mädchen auf, verfügt jedoch über den Chromosomensatz XY und über eine irritierende, zwitterhafte Anatomie.
In dem Heim der Familie, dass sinnigerweise an der Straße Middlesex liegt, wächst Callie auf, sie ist keineswegs die Hauptperson der Geschichte, vielmehr beschreibt der Autor die Einbürgerung der Familie im Westen, lässt die Atmosphäre der wirtschaftlich fluktuierenden Autostadt Detroit durch die Jahrzehnte aufleben und erzählt von Miltons spätem als Fastfood-Ketten-Betreiber.
Desdemonas Zauberpendel war es, der Callie im Mutterleib als Junge identifizierte. Sie oder er selbst entdeckt sich erst in der Pubertät als genetisches Monster. Die erste Liebe verläuft traumatisch, doch als sich ein Arzt findet, der eine Operation vorschlägt, die sie endgültig zur Frau machen soll, flieht sie und entdeckt mit 16 Jahren ihre männliche Identität.
Um der Geschichte ein schön amerikanisches Ende zu geben, muss Cal natürlich in den Schoß Familie zurückfinden und als Mann anerkannt werden. Also kehrt er nach einigen Jahren zurück und entdeckt seine griechischen Ursprünge. Desdemona erkennt in ihm den prophezeiten Enkel, und der Kreis schließt sich nach über 700 Seiten. Auf ihnen zeigt Eugenides manchmal großes Erzählgeschick, Humor und feinfühlige Charakterbeschreibungen. Andere Stellen sind profan, oberflächlich und doch sehr konstruiert.
Julika Pohle
Jeffrey Eugenides: Middlesex Aus dem Amerikanischen von Eike Schönfeld. Rowohlt, Reinbek 2003, 734 S, 24,90. ISBN: 3498016709