FAMILIEN
Parzifal mit Hau
Nick McDonells neuer Roman ist so bemerkenswert wie sein Debut
Nach dem furiosen Zwölf greift Nick McDonell jetzt tief in die Tragik-Kiste: Mike, US-Ami, 19 Jahre alt, Praktikant eines Redaktionsbüros in Hongkong, wird nach Bangkok geschickt, um dort über junge Rucksack-Touristen zu recherchieren, die sich die Birne zudröhnen und eine endlose Party feiern. Ach ja, sagt sein Chefredakteur, und wenn Sie schon mal da sind, dann suchen Sie doch bitte Christopher Dorr, der war mal einer unserer besten Reporter und ist abgängig.
Der junge, arglose Mann, ein auch moralisch sehr korrekter Ami, den alle sofort ins Herz schließen, fährt nach Bangkok, gerät an eine versoffene Journalisten-Clique, melancholische Zyniker, an eine Nutte mit Herz, und deckt gleich noch eine Familientragödie auf, eine Geschichte mit Sex, Eifersucht und Wahnsinn, die seine Eltern betrifft.
Es ist deutlich, dass McDonell alles ernst meint, keinerlei ironische Brechung trübt die Tragik der Geschehnisse. Hier sterben Menschen, und es gibt keinen Trost dafür. Das alles wäre sicherlich gar nicht auszuhalten, wenn McDonell einerseits nicht so eine unpathetische, dafür leicht schwitzende Sprache bemühen würde ("Als Mike mit der Rolltreppe aus der kühlen U-Bahnstation in die Hitze Hongkongs hinauffährt, empfindet er den Sommer als besonders drückend." - ein wundervoller Anfang; stimmungsvoll und klischeehaft). Und wenn er andererseits sein Material nicht so glänzend organisieren würde. In kurzen Kapiteln springt er übergangslos durch die Erzählebenen und -zeiten, ist in Bangkok, streift Mikes Kindheit, die Studentenzeit seiner Eltern (schlief der spätere Chefredakteur einst mit Mikes Mama? Hat sich Papa dafür mit Fremdvögeln gerächt?). All dies trennt er in drei Teile auf und schreckt nicht mal davor zurück, den scheinbar irren Bruder im Angesicht der einstürzenden Zwillingstürme am 11.9.01 in New York Selbstmord begehen zu lassen, in dem er vom Dach springt. Und obwohl Der dritte Bruder so offensichtlicht konstruiert ist, obwohl McDonell beim Schreiben mächtig mogelt (es gibt keine Erzählperspektive), berührt einen das alles. Weil wenigstens kurzzeitig mit Mike eine Figur auftritt, die uns leid tut. Ein Parzifal mit Hau. Ein Reicheleute-Kind, das auf eigenen Beinen stehen will und entdecken muss, dass die Welt und die eigenen Eltern vollkommen durchgeknallt sind. Nine Eleven, der wie nebenbei stattfindet, wirkt hier nicht besonders verrückt. Schon das hergestellt zu haben, ist eine beachtliche Leistung.
Thomas Friedrich
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