HERZ & SCHMERZ

Bella Italia

Liebe kann ja soo weh tun

Schon die Anfangssituation ist etwas befremdlich. Der Chirurg Timoteo zittert um das Leben seiner 15-jährigen Tochter Angela, die einen Mofaunfall hatte. Anstatt sie selbst zu operieren oder die OP wenigstens zu verfolgen, steht er auf dem Krankenhausflur und legt eine innere Beichte ab, die mit dem Ausruf "Geh nicht fort!" endet.
Die Aufforderung bezieht sich nicht nur auf die Tochter, eigentlich ist der Gedanke, sie womöglich zu verlieren, nur der Auslöser, um sich an einen vergangenen Verlust zu erinnern: Den der Geliebten Italia. Natürlich ist die Frau, bei deren Namenswahl Margaret Mazzantini richtig tief in die Symbol-Tonne gegriffen hat, nicht Angelas Mutter (deshalb die Beichte), sie ist im Grunde genommen niemand, jedenfalls niemand, für den sich Timoteo, stark, erfolgreich, selbstgefällig, unter normalen Umständen interessiert hätte. Sie ist arm, lebt in der grauen Vorstadt und besitzt nichts außer einem blinden Hund (wieder so ein gelungenes Bild).
Und so kann die Liebesgeschichte mit der kleinen, runtergekommenen Italia auch nur mit einer Vergewaltigung beginnen. Wenn die sexuelle Ausschweifung des Mannes später zu wirklicher Liebe wird, ist das allein Italia zu verdanken, denn für sie hat sich bisher noch nie ein Mann interessiert - und so liebt sie, bedingungslos, und kriegt des Doktors Liebe zurück, die so kitschig ist, dass man kaum weiterlesen kann (Warum liebst du mich? - Weil du du bist).
Timos Beichte strotzt vor Selbstmitleid, was völlig ungerechtfertig ist, denn alle tragischen Ereignisse (und von denen gibt es viele) werden durch ihn verursacht. Natürlich ist er kein Sympathieträger, von ihm möchte man eigentlich gar nichts weiter hören. Auch mit seiner Frau, der selbstbewussten, strahlenden und doch etwas kalten Mutter Angelas, kann man nicht recht warm werden. Was zwischen den beiden passiert, ist langweilig zu lesen, zu höflich ist ihr Verhältnis, zu dröge die kleinen Spannungen im sozialen Umfeld. Wenn Mazzantini es also nicht geschafft hätte, wenigstens Italia ein wenig vielschichtiger zu gestalten, würde man das Buch noch schneller weglegen. Italia aber rührt die Herzen, denn sie ist vollkommen hilflos und ausgeliefert, dabei aber freundlich und freudig, wenn das Leben ihr scheinbar Gutes tut. Dass der Mann, trotz seiner übertriebenen (und offenbar scheinheiligen) Liebesbekundungen dabei alle Klischees des selbstgefälligen Widerlings erfüllt, muss nicht mehr extra betont werden.
Vielleicht ist die Figur der kleinen Frau der Grund, aus dem die italienische Autorin Mazzantini für ihr Buch den begehrten Premio Strega Preis erhielt.
Susanna Tamaros schicksalhafte Familientragödie Geh, wohin dein Herz dich trägt wies ähnliche, schwer zu ertragende Eigenschaften auf. Den Imperativ auf italienischen Buchdeckeln sollte man also als Warnhinweis verstehen.
Julika Pohle
Margaret Mazzantini: Geh nicht fort. Aus dem Italienischen von Petra Kaiser. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2002, 340 S., 22,90 Eu ISBN: 362700096