LANDLEBEN

Nachbarn

Ein kurzer Roman über Freundschaft und Schuld

Fast 20 Jahre kommt er zu spät, der Roman von William Maxwell, der 1980 in den USA erschien und eine Generation von Autoren ermutigte, die "short story" bis an die Grenzen der Belastbarkeit aufzuplustern. Stärken und Schwächen dieser Kunstform finden sich - man möchte sagen: vorbildgebend in der "short novell" So Long, See You Tomorow, die jetzt bei Zsolnay unter dem Titel Also dann bis morgen erstmals auf Deutsch erschienen ist.
Darin erinnert sich der Erzähler, ein alter Mann, der offenbar Maxwell selbst ist, an einen seltsamen Mord in seiner Kindheit, der sich in der Nachbarschaft zutrug. In Lincoln, auf dem platten Land, fand man einen Kleinpächter erschossen vor seinem Stall. Der Tat verdächtig wurde sein ehemaliger Nachbar, der verschwunden war und dessen Leiche man Tage später aus dem nahegelegenen Baggersee zog; der Gerichtsmediziner erkannte auf Selbstmord, die Akte wurde geschlossen.
Der Erzähler erinnert sich an eine Schuld in Zusammenhang mit diesem Mord, eine Schuld, die er als Kind auf sich lud und unter der er ein Leben lang litt. Er war nämlich mit dem Sohn des Mordopfers befreundet, und als er den nach dem Skandal aus den Augen verlorenen Freund eines Tages wiedertrifft - geht er wortlos an ihm vorbei, ohne ihn zu grüßen oder anzusprechen: "Er sagte nichts. Ich sagte nichts. Wir gingen einfach immer weiter, bis wir aneinander vorbei waren. Und danach gab es für mich keine Möglichkeit mehr, das Geschehene ungeschehen zu machen. Warum sagte ich nichts zu ihm? Ich glaube, weil ich so überrascht war. Und weil ich nicht wußte, was ich sagen sollte. Ich wußte nicht, was in dieser Situation angemessen gewesen wäre." Für den Freund muß dieses Nichtwissen und Schweigen sehr demütigend und beängstigend gewesen sein.
Also beschließt der Erzähler, nach alten Zeitungsausschnitten und Akten den damaligen Fall nachzuerzählen, zu spekulieren, die Geschichte des Vaters seines Freundes zu erzählen. Um so eine Schuld, von der er weiß, daß sie heute keine Bedeutung mehr hat, endlich abzutragen.
Die Geschichte ist düster, zäh, quälend. Wie in einer Tragödie läuft das Schicksal der benachbarten Farmersfamilien dem Verderben entgegen. Aus der Freundschaft der Männer erwächst die Liebe des einen Mannes zur Frau des anderen. Am Ende stehen die Höfe leer, die Familien sind in alle Himmelsrichtungen zerstreut. Bis eines Tages der betrogene Ehemann noch einmal zurückkommt und den Freund erschießt.
Maxwell erzählt diese zum Teil frei erfundene Geschichte als ob sie ihm noch immer Schmerzen bereitete. Er ist der allwissende Erzähler und Fabulierer, der aus den dürren Zeitungsberichten der damaligen Zeit so etwas wie eine Novelle zu schaffen versucht.
Die Düsternis und Hermetik dieser Geschichte erinnert an einen anderen Roman, der zwei Jahre später erschien, in England, geschrieben von einem jungen Mann: Bruce Chatwins "Auf dem dunklen Berge" hat frappierende Ähnlichkeit im Tonfall mit Maxwells Also dann bis morgen. "Also dann bis morgen" war übrigens der Satz, mit dem sich die Schulfreunde am Abend vor dem Mord verabschiedeten, um danach nie wieder ein Wort miteinander zu reden.
Das erstaunliche an diesem Buch ist sein Unmaß: Hat es an einigen wenigen Stellen Längen, hat man doch meistens ein Gefühl des Gehetzten, Gedrängten und wünscht sich, der Autor hätte sich nicht dazu entschlossen, diese komplizierte (und letztlich einfache) Geschichte derart komprimiert zu erzählen. Weshalb Maxwells Entschuldigungs-Roman letztlich zu kurz ist; wie alle guten Bücher.
Victor Lachner
William Maxwell: Also dann bis morgen Aus dem Amerikanischen von Benjamin Schwarz. Paul Zsolnay Verlag, Wien 1998, 165 S., 34,- DM