AFGHANISTAN

Freundliche Psychos

Der italienische Journalist Daniele Mastrogiacomo war 15 Tage lang Geisel der Taliban.

Mastrogiacomo, seit Jahren für italienische Zeitungen in Afghanistan tätig, hatte über seinen Dolmetscher ein Interview mit einem örtlichen Taliban-Führer vereinbart. Als die kleine Gruppe - Mastrogiacomo, sein Dolmetscher und sein Fahrer - am Treffpunkt ankam, wurde sie verschleppt. Anfänglich wurden sie der Spionage beschuldigt, aber den Taliban war bald klar, dass sie einfach ein Faustpfand besassen. Die Geiseln sollten freigelassen werden gegen bestimmte Leistungen der italienischen Regierung.

Worin diese Leistungen bestanden und ob sie erbracht wurden, erzählt Mastrogiacomo in seinem Buch Tage der Angst nicht. Fast zwei Jahre hat er gebraucht, um seine Erlebnisse zwischen Panik und Wut aufzuschreiben. Er wollte mehr über die Taliban erfahren und war nun, als Gefangener, Bestandteil ihres Alltags. Er erlebte vorwiegend freundliche Gleichgültigkeit, im Guten wie im Schlechten. Ein Wächter schenkte ihm einen MP3-Player mit der englischen Version des Koran, Mastrogiacomo durfte sogar rauchen, was den Taliban nach einem Edikt von Mullah Omar untersagt ist. Mit der gleichen freundlichen Gleichgültigkeit richten die Taliban Mastrogiacomos Fahrer hin, der für sie keinen Wert besass.

Die politische Analyse hält Mastrogiacomo kurz. Sein Erfahrungsbericht ist ehrlich, aber nicht aufdringlich. Die Wut auf diese Bande freundlicher Ignoranten ist jederzeit spürbar. Er bekennt zu Beginn des Buches, dass er, in Pakistan geboren, Afghanistan nie verstanden habe. Dieses fundamentale Unverständnis zieht sich ehrlicherweise durch den gesamten Bericht. Afghanistan ist nach Mastrogiacomo eine Gegend, die man als zivilisierter Mensch einfach nur so schnell wie möglich wieder verlassen möchte.

Erich Sauer
Daniele Mastrogiacomo: Tage der Angst. Entführt von den Taliban. Aus dem Italienischen von Judith Elze. Tropen / Klett Cotta, Stuttgart 2010, 200 S., 17,95