MARS
Rote Erden
Über 100 Jahre und 3000 Seiten Mars-Romane: irdische Angelegenheiten im Weltall-Gewand
Rot ist er noch, aber kaum ein Geheimnis blieb: keine Kanäle, keine Monster, keine Abenteuer mehr ... nur ein Farbkopierer in der Fernsehwerbung, mit dem uns die wahren Marsianer den öden Klotz bloß vormachen. Dahinter geht es zu, wie zuhause unterm Sofa: ein alter und drei neue Mars-Romane erklären unseren Nachbarplaneten zum Spielfeld und Spiegel für inneriridische Angelegenheiten.
Einwanderer
Über Kurt Lasswitzs Auf zwei Planeten urteilt die sehr belesene amerikanische Science Fiction Encyclopedia knapp: "der wichtigste deutsche SF-Roman". Und fast der erste dazu. Geschrieben wurde er 1897, gleichzeitig mit dem viel berühmteren - und langweiligeren - War of the Worlds; gemünzt war er wie jener deutlich auf den europäischen Kolonialalismus. Aber wo der englische Sozialist Wells sozusagen die eigene Regierung als Schleimbeutel-Invasoren porträtierte, da setzt der deutsche Philosophie-Professor auf die allmäliche Korruption der marsianischen Entwicklungshelfer. Erst hochmoralische Fremde, später zunehmend von uns angewiderte Besatzer, am Ende aber doch Partner in universaler Demokratie und Liebe.
Und wen die langen philosophischen Passagen stören, der kann die erstaunlich präzisen technischen Voraussagen goutieren: Raumstationen, Umweltkrise, Wertverlust ... von Perry Rhodan bis Al Gore schreiben bis heute mehr von Lasswitz ab als ihn lesen.
Bis 1933 galt Auf zwei Planeten als anregend, aber auch gefährlich pazifistisch - dann wurde es verboten und vergessen. In der DDR kam Lasswitz als bürgerlicher Kritiker des Bürgertums ins Regal, in der BRD kam der Mars-Roman, ungefähr um 2/3 gekürzt, als Heftchen an den Kiosk. Erst auf dem Umweg über Arno Schmidt entdeckte das Feuilleton ihn wieder - und jetzt kriegen wir die ausführlich kommentierte Zweitausendeins-Ausgabe von 1979 noch einmal, mit noch mehr Anmerkungen, Artikeln, Abbildungen. Und einem überflüssigen Anhang über den Kurt Lasswitz-Preis, den deutsche SF-Profis seit 20 Jahren fast unter Ausschluß der Öffentlichkeit vergeben. Ich weiß das, ich gehöre zur Jury. Und schlage in diesem Jahr dieses Buch vor.
Auswanderer
Greg Bear schrieb Heimat Mars ("Moving Mars") schon 1993. Einerseits als Plädoyer für kleine, basisdemokratische Gemeinschaften, die staatliche Kontrolle "von unten nach oben" aufbauen - hauptsächlich in Dialogen, aber auch mit Terror-Anschlägen und biokybernetischen Hirnerweiterungen.
Andererseits als gigantischen Kosmos-Ruck, mit dem einige wohlmeinende Marsianer ihren Planeten irgendwie quantenmechanisch unter eine neue, rettende Sonne von der Erde weg verrücken. Der physikalische Teil (besonders Nanotechnik, Bears Steckenpferd seit Blutmusik, 1985 - aber auch neueste subatomare Theorien) ist etwas besser ausgearbeitet als die Staatslehre; trotzdem funktioniert die Konstruktion seiner Utopie wie ein historischer Roman von Emile Zola. Nur eben in der Zukunft - und da ist der Himmel über dem neuen Mars blau.
Kim Stanley Robinson schrieb Blauer Mars 1996, als Abschluß einer 1992 begonnenen Trilogie (Roter Mars, Grüner Mars). Das Terraforming des unwirtlichen Fleckens ist fertig, der Mars wird technisch zur zweiten Erde entwickelt - aber seine Bewohner wollen eine neue. Es gibt Unabhängigkeitskriege und Bergwanderungen (Kim mag die Natur mehr als Greg), es gibt weniger Dialog und mehr Erklärung (Robinson landet auch bei den Quanten, aber "weicher" als Bear: in einer Theorie des Gedächtnisses). Und es gibt überall Parallelen zur Kolonisierungsgeschichte der USA. Nur ohne Eingeborene. Bzw.: mit uns selbst als Indianer und Cowboy auf einem Pferd. Die Mars-Pilgerväter (und, bei Bear und Robinson, sehr viele Frauen in tragendsten Rollen) haben miteinander schon genug Probleme. Mit der Formierung einer neuen Kultur, mit Spätaussiedlern von der Erde, mit Flügelkämpfen zwischen Roten, Grünen und Blauen ... aber sie haben immerhin eine Stadt die "Lasswitz" heißt.
Brian Aldiss schrieb Weisser Mars als Antwort auf die Terraformer - und in England: der Nachbarplanet soll bleiben wie er ist, ein Schutzgebiet wie die Arktis. Und weil der Mars so anders bleibt, und weil Roger Penrose als britisch-wissenschaftlicher Ko-Autor allerlei seltsame Einfälle hat (u.a. gibt es Ureinwohner: genau einen), konstruiert Aldiss dort ein neues Utopia, komplett mit Verfassungsentwurf und Ausführungsbestimmungen. Kein Geld, mehr Sex, Männer sind nicht mehr bei der Geburt dabei ... pfft.
Bei Aldiss vor allem fällt auf: alle Gesellschaftsentwürfe fangen noch einmal vor Marx an - uns lassen das Proletariat weg. Wissen tritt an die Stelle des Kapitals, Sauerststoffversorgung ersezt die soziale Frage - und ein bißchen Genmanipulation holt den nachrevolutionären Menschen hinterm Ofen vor. Schön, daß das dumme Gerede vom "Ende der Geschichte" vorbei ist, aber bis zu einem neuen, dialektischen Marsianismus fehlen noch ein paar astronomische Einheiten.
WING
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Kurt Lasswitz: Auf zwei Planeten herausgegeben und mit einem Vorwort, Nachwort, einer Werkgeschichte und einer Bibliogrpahie versehen von Rudi Schweikert. Heyne, München 1999 (Tb Nr. 8007), 1071 S., 34.90 DM Greg Bear: Heimat Mars aus dem Amerikanischen von Usch Kiausch. Heyne, München 1999 (Tb Nr. 5922) 782 S., 19.90 DM Kim Stanley Robinson: Blauer Mars aus dem Amerikanischen von Winfried Petri und Eva Torhorst. Heyne, München 1999 (Tb 5363), 1070 S., 29.90 DM Brian Aldiss / Roger Penrose: Weisser Mars. Oder: Aufbruch zur Vernunft aus dem Englischen von Usch Kiausch. Heyne, München 1999 (Tb Nr. 6350), 478 S., 16.90 DM
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