Krieg Und nochmal Vietnam In »Matterhorn« erinnert sich ein Marine an seine Zeit im Dschungel Wenn man den zitierten US-Pressereaktionen glauben darf, ist das hier ein "Meisterwerk" (Publischers Weekly) und "eine der tiefgründigsten Romane ... über den Krieg" (NYT Book Review). 30 Jahre hat Marlantes, der Ex-Marine, für diesen Roman gebraucht. Und wenn man sich diese detaillierte Erinnerung antun will, die gerade in den ekligen Details beeindruckt, bekommt man einiges an Absurdität und Elend geboten. Ähnlich wie Kubricks Wege zum Ruhm wird hier das politische Taktieren der Stabsebene gegen den Dreck und das Elend der Fußtruppen gestellt. Ein bestimmter Hügel muss nicht aus taktischen oder strategischen Gründen eingenommen werden, sondern weil der Bataillonskommandeur dringend einen Erfolg vorweisen muss. Dass für den Dschungelmarsch nicht genügend Proviant und Munition ausgeteilt werden, dass Tiger im Dunkeln mindestens so gefährlich sind wie Vietcong, und dass man in tagelanger Knochenarbeit Bunker ausheben muss in Stellungen, die eine Woche später geräumt und kampflos dem Feind überlassen werden - all das sind nette Details des Irrsinns. Es zeigt, dass sich dieser Krieg effektiver hätte führen (und dann auch gewinnen?) lassen. Der Schwerpunkt des Buches liegt auf den Erlebnissen der einfachen Soldaten, die in unsäglichem Schmutz und Elend durch ein Land gehetzt werden, das sie nicht verstehen. Von der verbündeten Südarmee wird abfälliger gesprochen als vom Vietcong, jede politische Analyse wird in Matterhorn vermieden. Es geht um Menschen und dass eine Armee funktioniert, weil im entscheidenden Moment jeder Soldat seinem Nebenmann helfen will und deshalb Dinge tut, die er sonst niemals tun würde, schon gar nicht für einen taktischen Vorteil. Auf über 600 Seiten zeigt Marlantes, dass er ein hervorragender Schriftsteller ist, wenn es um Eindrücke, Atmosphäre und die abscheulichen Details des Krieges geht. Dass der Roman diese Ebene selten verlässt und sich auch auf der Stabs-Ebene darauf beschränkt, die Egoismen der Offiziere als agens movens zu identifizieren, ist Stärke und Schwäche zugleich. Als Roman ist Matterhorn ein beeindruckendes Stück Kriegsliteratur, das nichts beschönigt. Als literarisches Fotoalbum des Vietnamkriegs ist es wohl ziemlich einmalig. Als erzählerisches Dokument, das eine epochale Verirrung auch erklären könnte, taugt es nichts. Nirgendwo im Buch wird allerdings ersichtlich, dass Marlantes diesen Ehrgeiz überhaupt gehabt hätte. Um diesen Krieg zu erklären, braucht es keine 30 Jahre. Um die eigenen Erinnerungen daran zu verarbeiten und so zu gestalten, schon. Thomas Friedrich
Karl Marlantes: Matterhorn. Ein Vietnam-Roman. Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl. Arche, Zürich 2012, 672 S., 24,95
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