AFRIKA

Des weißen Mannes Träume

Henning Mankell schreibt nicht nur Krimis

Dass Henning Mankell für seine regnerischen Schweden-Krimis berühmt wurde, ist ein Witz. Eigentlich lebt der Schwede Mankell in Mosambik, wo er ein kleines Theater leitet. Das Geld, das er mit seinen Romanen verdient, steckt er vorwiegend in seine afrikanische Schauspieltruppe. Die rote Antilope ist ein weiterer Mankell-Roman, der hier keinen Erfolg haben wird, weil er eben kein Krimi, sondern ein auf Fakten beruhender Roman über Afrika und Schweden ist.
In den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts bricht ein Taugenichts nach Afrika auf. Er will dort Insekten katalogisieren und möglichst einen bisher nicht entdecken Käfer mit nach Hause bringen, der fortan seinen Namen tragen soll. Er findet in der Kalahariwüste seinen Käfer - und einen schwarzen Waisenjungen. Den nimmt er mit ins kalte Schweden, stellt ihn aus, versucht ihm "Zivilisation" beizubringen (also: Schuhe tragen, an Gott glauben, Türen leise schließen). Als er auf seiner "Vortragsreise" auf eine emanzipierte Journalistin trifft, die sich des schwarzen Jungen annimmt und die Lügen durchschaut, mit denen diese Vortragsreise gewürzt wird, stürzt sich der verzweifelte Ersatz-Vater, der sich ansonsten mit Huren und Onanie begnügen muß, auf die Frau und versucht, sie zu vergewaltigen. Auf der Flucht durch Schweden ist der schwarze Junge fortan hinderlich. Er wird bei Bauersleuten zur Pflege gegeben.
Das erste Drittel des Romans folgt ganz der Perspektive des traurigen Helden Hans Bengler. Mankell hat ihn mit jener tiefen Wehmut und dem Gefühl der Nutzlosigkeit ausgestattet, wie man sie bei den Helden von Knut Hamsun etwa idealisiert findet. Nur präsentiert uns Mankell ein weinerliches Weichei, einen Versager, der vielleicht glaubt, von selbstlosen Motiven angetrieben zu werden, für den der schwarze Junge aber nur ein Objekt ist: endlich jemand, dem gegenüber er sich überlegen fühlen darf. In seiner eigenen Welt, in Schweden, scheitert er, weil er eben nichts weiter ist, als ein nutzloser Intellektueller, der stolz darauf ist, in dem Schwarzen einen Menschen erblicken zu können; freilich einen, den man an der Leine führen muß.
Haben wir Afrika nur aus der Sicht von Hans Bengler erlebt, wechselt Mankell mit der Ankunft in Schweden die Erzählperspektive. Fortan erzählt Molo, der schwarze Junge. Für ihn öffnet sich ein Panoptikum, das er nicht versteht. Molo hat nur Heimweh und träumt von seinen ermordeten Eltern.
Das letzte Drittel erzählt von Molos Fluchtversuchen, die allesamt scheitern. Die Bauern, bei denen er unterkommt, sind freundliche Leute. Aber sie verstehen ihn nicht. Sie ahnen sein Heimweh, haben aber keine Möglichkeiten, Molo zur Heimreise zu verhelfen. Endgültig verhöhnt wird Molos Existenz, als er am Ende einen Brief von seinem "Vater" Hans Bengler erhält, der sich als gesuchter Vergewaltiger wieder nach Afrika durchgeschlagen hat. Wo er neue Insekten entdecken will und das Leben überhaupt ungeheuer romantisch findet.
Die rote Antilope ist, wie bei Mankell üblich, ein beobachtender Roman. Die Dinge sind es, die einem das Herz zerreißen, nicht deren Bewertung. In einem Nachwort deutet Mankell an, dass sein Roman auf einer wahren Begebenheit beruht: "Der Roman schildert nicht notwendigerweise, was geschehen ist. Die Aufgabe des Romans ist es, von dem zu erzählen, was hätte geschehen können.", schreibt Mankell.
Victor Lachner
Henning Mankell: Die rote Antilope. Aus dem Schwedischen von Verena Reichel. Zsolnay, Wien 2001, 381 S., 42,- DM