IRAN

Zensierte Gefühle

Der iranische Autor Shahriar Mandanipur hat einen Roman darüber geschrieben, warum man keinen Roman über die Liebe im Iran schreiben kann.

Sara und Dara haben es nicht leicht. Sie sind nicht nur ein Liebespaar im Iran, wo alles verboten ist, was die Liebe befördern könnte. Sie sind auch die Helden eines Romans. Und dessen Autor, Shahriar Mandanipur, mischt sich fortwährend in die Handlung ein, bis einmal Dara den Schriftsteller an der Gurgel packt und ihn beschimpft: Warum hast du mich so schwach gemacht!? Dabei will Mandanipur seine beiden liebenden Hauptfiguren und ihre Liebe vor allem nicht Opfer des Zensors werden lassen. Der heisst Herr Petrowitsch und mischt sich ebenfalls immer wieder ein. Manchmal begegnet der Autor Mandanipur Herrn Petrowitsch auf der Straße, und der ruft ihm gönnerhaft zu: "Und, was macht ihre Liebesgeschichte?" Eine iranische Liebesgeschichte zensieren ist ein mit allen Wassern der Postmoderne gewaschener Roman, der sich pausenlos mit dem Leser darüber unterhält, warum er ein Roman ist und warum er so geworden ist, wie er ist.

Denn der Autor - Shahriar Mandanipur leitet im Iran ein Literaturzeitung, die 2009 verboten wurde - erzählt eigentlich vom Irrsinn der iranischen Geschichte und Geschichten von den zur Zeit herrschenden Irren. Alles ist verboten: Frauen in Modemagazinen mit unbedeckten Armen werden zensiert, Musikinstrumente dürfen im Fernsehen nicht gezeigt werden, und weil Saufen und Fluchen verboten sind, reden selbst die Schurken in iranischen Romanen einander mit "Mein Herr" an und bestellen im Restaurant einen Kefir statt Wodka.

Weil er sein Liebespaar immer wieder mit diesen Tabus konfrontiert (wo soll sich ein junges, unverheiratetes Paar in Teheran treffen?), wird aus dem albernen Tabu, dem Mullah-Verbot, etwas Lebensgefährliches, etwas, das jenseits der Geschmacksgrenzen zu beurteilen ist. Wer Leute erschlägt, weil sie heimlich DVD von Hitchcock verkaufen, kann nicht einfach unter dem Level "kulturelle Autonomie" reisen; ein Tschador ist ein Sack zum Verräumen von Menschen, nicht Ausdruck irgendeiner "Freiheit". Eine iranische Liebesgeschichte zensieren ist vor allem komisch. Mandanipur lässt Leute sterben und im Gefängnis verschwinden, er berichtet von Hinrichtungen, Vergewaltigungen, Korruption in dem Wahnsinn der Chef-Muslime im Detail. Aber er setzt dem immer wieder die Idee entgegen: Wir sind ein Jahrtausende altes Kulturvolk, wir haben schon ganz andere Dinge überlebt.

Das ist bei Mandanipur nicht eitle Pose. Immer wieder gerät ihm die persische Geschichte in die Gegenwart. Sei es, dass er seiner Tochter den parsischen Namen Baran geben möchte und der Standesbeamte ihm einen ordinären arabischen empfiehlt, sei es, dass in einer Szene unsichtbar antike Heerscharen durch die Stadt ziehen, müde und geschlagen und unterwegs zur nächsten Schlacht.

Die Geschichte in diesem Roman schlägt immer wieder Purzelbäume, der Autor unterbricht seinen Roman wo und wann immer er will, um eine Anekdote aus der Gegenwart zu erzählen, er diskutiert Passagen mit seinem Zensor Herrn Petrowitsch, der sich später direkt in den Roman einmischen wird, ohne Wissen des Autors. Und er schreibt ganze Absätze nachträglich um ("Vergessen Sie, lieber Leser, was Sie bisher gelesen haben") um seinen Helden zu retten. Eine iranische Liebesgeschichte zensieren ist ein trauriger, kluger, urkomischer Roman über Liebe und Fanatismus. Mandanipur, der inzwischen in Cambridge lebt und sein Land verlassen musste, ist gewiss nicht der Meinung, dass in nächster Zeit die Liebe siegen könnte.

Thomas Friedrich
Shahriar Mandanipur: Eine iranische Liebesgeschichte zensieren. Aus dem Englischen von Ursula Ballin. Unionsverlag, Zürich 2010, 319 S., 19,90