SKANDALE

Moral für Sieger

Curzio Malapartes böser Nachkriegsroman »Die Haut« wird wieder aufgelegt

Es gibt die vage Erinnerung an zwei Skandale. Einmal die Verfilmung durch Liliana Cavani 1981 (mit Marcello Mastroianni), und dann natürlich das Buch selbst, Die Haut. Nach der Veröffentlichung hatte Malaparte Hausverbot in Neapel.
Als Begleitoffizier der US-Armee erlebt Malaparte dort das Ende des Krieges. Einerseits ist Die Haut ein Ideenroman, in dem Malaparte der Frage nachgeht, wie sich Kriegsverlierer verhalten. Andererseits ist Die Haut ein sehr sinnliches Buch, in dem sich groteske Situationen aneinander reihen, bei denen, oft nicht klar ist, ob sie genial erfunden oder nur sehr gut beobachtet sind. Von rauschgiftschwangeren Orgien bis hin zu einer langen, geschwungenen schmalen Gasse, auf der die Neapolitanerinnen breitbeinig auf Stühlen sitzen und die US-Soldaten erwarten - eine Szene so bizarr wie von Fellini erdacht, eine Mischung aus Würdelosigkeit und Trotz.
Was sollen Verlierer tun, denen nichts weiter geblieben ist als "die Haut"? In einem der vielen Tischgespräche mit seinen amerikanischen Freunden löst Malaparte Entsetzen aus, als er behauptet, Amerikaner würden sich nicht anders benehmen, wenn sie den Krieg verloren hätten. Moral, sagt Malaparte, ist etwas für Sieger.
Die Haut ist auch ein liebevolles Portrait der Neapolitaner, die sich mit List der Herrschenden erwehren. Die Haut beschreibt, wie sie praktisch mit bloßen Händen die Nazis aus der Stadt prügeln, als sie wissen, dass alliierte Verstärkung zu erwarten ist.
Nachdem er zwei Jahre zuvor mit Kaputt ein eher apokalyptisches Buch geschrieben hatte, ist Die Haut, trotz vieler grässlicher Szenen, eher von traurigem Optimismus getragen: "Der Geruch nach kaltem Rauch, vom Brand des Palazzo Cellamare wogte in der schweren klebrigen Luft; traurig atmete ich diesen Geruch einer eroberten, geplünderten, den Flammen überlassenen Stadt, den ewigen Geruch des im Brand der Häuser und Scheiterhaufen qualmenden Ilion". Der letzte Satz des Buches heißt: "Es ist eine Schande, im Krieg zu siegen".
Zsolnay hat die Übersetzung der Erstveröffentlichung neu aufgelegt, ergänzt um ein Nachwort von Thomas Steinfeld (und einer Zeittafel von Ralph Jentsch, die schon in Kaputt stand). Das gibt einen kurzen Überblick über das wilde Leben des Deutsch-Italieners, dessen Bücher in den 50er Jahren Bestseller waren und der heute unter dem falschen Etikett leidet, ein Faschist gewesen zu sein. Zu Malapartes Beerdigung entsandte die Kommunistische Partei Italiens eine Kondolenz-Delegation.
Thomas Friedrich
Curzio Malaparte: Die Haut Aus dem Italienischen von Hellmut Ludwig. Mit einem Nachwort von Thomas Steinfeld und einer Zeittafel von Ralph Jentsch, Zsolnay, Wien 2006, 445 S., 25,90 ISBN: 3552053689