WILDER MANN

Mit Himmler in der Sauna

Curzio Malapartes großartiger Kriegsroman »Kaputt«

Er hat wenig ausgelassen und bekam überall Ärger: Als 16jähriger Freiwilliger geht Malaparte, geboren als Deutsch-Italiener Kurt Erich Suckert, 1914 nach Frankreich, um dort gegen die Deutschen zu kämpfen. In den 20ern tritt er Mussolinis faschistischer Bewegung bei, nach der Veröffentlichung seines Essays Techniken des Staatsstreiches wird er Anfang der 30er zu fünf Jahren Verbannung verurteilt. In Deutschland wird das Buch (das einen ungemein klarsichigen Aufsatz über Hitler enthält) verbrannt. Als Kriegskorrespondent (auf Mussolinis Anordnung hin!) reist er Anfang 1941 an die Ostfront. Der deutsche "Generalgouverneur" Frank in Polen beschwert sich in Berlin über Malapartes Artikel, der 1943 nach Finnland versetzt wird. Noch 1944 erscheinen in Neapel seine gesammelten Kriegsberichte als Roman (unter dem Titel Kaputt). Als er 1949 "La Pelle" (Die Haut) veröffentlicht, das stilistisch genauso gebaut ist wie Kaputt, verhängt Neapel einen "Stadt-Bann" gegen ihn: Malaparte hatte beschrieben, wie Neapel auf die Alliierten reagierte. Der Vatikan setze das Buch auf den Index.
In Kaputt schreibt Curzio Malaparte so, wie er gelebt hat: wild, sprunghaft, mit großer Aufmerksamkeit für Details. Seine Reportagen führen von Finnland über Rumänien nach Russland, über Polen nach Italien. Er ist kein Schlachtenbeschreiber, er beschreibt das Schlachten. Er besucht - als Reporter - in Rumänien ein Wehrmachtsbordell, in dem junge Jüdinnen für jeweils 20 Tage zwangsweise arbeiten, nach den 20 Tagen werden sie erschossen; die jungen Frauen, mit denen er redet, sind seit 18 Tagen dort und wissen, was ihnen bevorsteht. Er beschreibt einen deutschen General in Finnland, der den letzten ortsansässissigen Lachs fangen will, und als er ihn schließlich an der Angel hat und der Lachs nach drei Stunden Kampf immer noch nicht aufgeben will, befiehlt der General seinen Adjutanten, den Lachs zu erschießen. Malaparte trifft Himmler in der Sauna (und beschreibt minutiös dessen schrumpelige Hoden und den blassen Arsch) und Generalgouverneur Frank, der sich als "König von Polen" vorstellt. Und er schreibt immer wieder wunderschöne Sätze wie diesen: "In ihrem Betragen lag jene liebenswürdige Sanftheit, welche die polnische Nation zu einem leicht beschlagenen Spiegel macht, in dem die alltäglichen Gesten und Bewegungen Anmut und Adel alten Stils gewinnen."
Über die Deutschen schreibt er: "Sie haben Angst vor allem und jedem, sie töten und zerstören aus Angst. Nicht etwa, daß sie den Tod fürchten - kein Deutscher, ob Mann, ob Frau, ob Greis ob Kind, fürchtet den Tod. Und sie haben auch keine Furcht vor Leiden. In einem gewissen Sinne kann man sagen, daß sie den Schmerz lieben. Aber sie haben Angst vor allem, was lebendig ist, vor allem, was lebendig ist außerhalb von ihnen, und vor allem, was anders ist als sie."
Über die Italiener: "Auch ich habe, wie alle Italiener, ein gebrochenes Rückgrat. In diesen zwanzig Jahren haben wir unsere ganze Energie ausgeben müssen, um zu überleben. Wir sind zu nichts mehr zu gebrauchen. Wir können nichts anderes als Beifall klatschen." - Diese Sätze sagt er zu den Juden im rumänischen Jassy, als sie ihn bitten, etwas gegen das von den Deutschen geplante Pogrom zu unternehmen. Das Pogrom hat es gegeben (mit 7000 Toten), aber Malaparte war nachweislich nicht dort.
Was Malaparte in Kaputt selbst erlebt, nur gehört oder sich ausgedacht hat, ist bis heute teilweise nicht aufzulösen. Sein Roman wurde damals deshalb als Kolportage abgetan (und erlebte trotzdem in Deutschland in den 50ern eine 100.000er Auflage). Nach allem was man heute weiß, hat Malaparte die Deutschen und ihr Metzeln in Europa eher gnädig beschrieben.
Kaputt ist kein Buch, in dem der Autor sich stellvertretend für den Leser empört. Viele Kapitel beginnen mit einer eher heimeligen Situation, man sitzt zusammen, isst, trinkt, amüsiert sich. Die Szene spielt fast immer in den "oberen Ständen", bei Militärs, Botschaftern, Adeligen. Und dann erzählt Malaparte, von der Belagerung Leningrads (wo die Deutschen tote russische Soldaten als Wegweiser im Schnee aufstellen), vom Pogrom in Jasny, dem Ghetto in Warschau. Er beschreibt Farben, Gerüche, das Licht und das Elend, das Sterben, die leeren Blicke der Kinder. Er formuliert keine Anklage, keine Empörung, aber er beendet seinen Bericht über das Warschauer Ghetto mit dem Satz, gerichetet an Frank: "Die jüdischen Kinder haben Flügel, wußten Sie das nicht?"
In der alten Übersetzung, mit einem neuen Nachwort und einer Zeittafel, hat Zsolnay dieses ungewöhnliche Buch wieder herausgebracht; leider ohne das Vorwort Malapartes, das dieser seinerzeit extra für die deutsche Ausgabe verfasste. Dafür ist das Nachwort von Lothar Müller vorzüglich dazu geeignet, auf einen vergessenen Schriftsteller neugierig zu werden. Die Zeittafel von Ralph Jentsch belehrt uns: Malaparte blieb ein Aufsässiger. 1955 wollte er aus Protest gegen die Motorisierung die USA mit dem Fahrrad durchqueren und inszenierte im selben Jahr die Revue "Sexophone" in Mailand, bei der es "zu einem Aufstand des Theaterpublikums im Saal" kam.
Thomas Friedrich
Curzio Malaparte: Kaputt. Aus dem Italienischen von Hellmut Ludwig. Mit einem Nachwort von Lothar Müller und einer Zeittafel vom Ralph Jentsch. Zsolnay, Wien 2005. 589 S., 25,90 ISBN: 3552053344