ISTANBUL

Ironie und Abscheu

»Zwei Mädchen« beschreibt die türkische Gegenwart ohne die üblichen Klischees.

Frau Magden ist in Istanbul und darüber hinaus nicht nur für ihre Kolumnen (in der Zeitschrift "Radikal") und diversen Romane bekannt, sondern auch für ihren Mut. Sie stand vor Gericht, weil sie in einer Zeitungskolumne darauf hingewiesen hatte, dass Kriegsdienstverweigerung ein Menschenrecht sei; die türkische Verfassung sieht das anders.

Ihr (bereits 2002 erschienener) Roman Iki Genc Kizin war nicht nur in der Türkei ein Bestseller, auch die Verfilmung (von 2005) reüssierte auf diversen Festivals.

Erstaunlich, dass diese Autorin, die so Vieles verkörpert, was dem Westen an der Türkei imponiert, erst jetzt in Deutschland stattfindet: Iki Genc Kizin erscheint jetzt unter dem Titel Zwei Mädchen - Istanbul-Story und stellt damit die erste deutsche Veröffentlichung der Autorin dar. Zwei Mädchen ist eine Liebesgeschichte, eine Stadt-Geschichte, ein Krimi - und vor allem spannend zu lesen. Im Mittelpunkt steht Behiye, die karottenkopfrote Rebellin, die sich mit ihren 18 Jahren schon gegen Gott und die Welt und vor allem die braven Eltern aufgelehnt hat. Und dann begegnet Behiye der wunderschönen Handan, 16jährig, in ein Mohair-Jäckchen gehüllt und zuckersüß. Die wilde und doch immer brave Liebe dieser beiden Mädchen steht im Mittelpunkt der Geschichte. 19 Tage beobachtet der Roman ihre Streifzüge durch Istanbul und die eigene Seele.

Kommt einem der blumige, eigenwillige Sprachstil der Autorin anfangs etwas wirr vor, merkt man bereits nach wenigen Seiten, wie gut die Magden ihr Material organisiert hat. Noch der kitschigste Absatz und das seltsamste Detail sind nicht um des Effektes Willen da, sondern tragen die Geschichte zu ihrem traurigen Ende. Zwei Mädchen ist ein Jugendbuch, in dem "ficken" oft vorkommt (aber kein Sex!), Handans Mutter als Luxusnutte arbeitet und wo nette 19jährige Jungs mit durchgeschnittener Kehle im Wald gefunden werden. Und eine Liebesgeschichte, die sich ganz dem Rausch hingibt, der mit der ersten bedingungslosen Schwärmerei verbunden ist. Perihan Magden findet dafür schöne Bilder: Schwimmen in einem menschenleeren Pool, Stromern durch Einkaufspassagen, eine Wohnung mit Gerüchen zu erfüllen, wenn Behiye ihrer Handan Hackfleischbällchen in Zitronensauce kocht.

Die Wut ihrer Heldin Behiye auf den Rest der Welt vermag Magden ebenso plastisch zu formulieren: "Sie hat diesen Blick in den Augen, mit denen sie ihre Mutter zu durchbohren pflegt, eine Mischung aus Ironie und Abscheu. Ihr Lippen sind kaum mehr sichtbar. Ober- und Unterlippe sind zusammengepresst, in den Mund hineingezogen. Ein wenig sieht es aus, als grinse sie." Zwei Mädchen hat ein überraschendes Ende. Es ist eines, dem man atemlos entgegenliest. Weil man nicht weiß, ob die Heldin diese Liebe überleben wird. Und weil man als Leser lernt, dass Kitsch keine Kategorie ist, um die Tiefe einer Verzweiflung ausloten zu können.

Es ist schön, dass dieser fesselnde, kluge und sehr poetische Roman (in einer flüssigen Übersetzung) auf Deutsch zu haben ist. Es ist nicht schön, dass weitere deutsche Veröffentlichungen von Magden nicht geplant sind.

Thomas Friedrich
Perihan Magden: Zwei Mädchen Aus dem Türkischen von Johannes Neuner. Suhrkamkp, Frankfurt 2008, 329 S., 9,90