SIZILIEN

Falsche Helden

Andrea Camilleri beschreibt einen kuriosen Mord im faschistischen Italien

Die Zeit ist Anfang der 20er, Mussolini und seine Faschisten sind kurz davor, die italienische Regierung zu übernehmen. Da geschieht irgendwo in Sizilien ein Mord. Ein knapp 18jähriger Jungfaschist wird mit zerschossenem Schädel in einer dunklen Gasse gefunden, Opfer der ruchlosen Tat eines kommunistischen Maurers, dem bald darauf der Prozess gemacht wird. Der Märtyrer im schwarzen Hemd erzählt davon, dass der tote Faschist zwar zum Märtyrer aufstieg (nach dem Schulen und Straßen benannt wurden), dass sich aber dummerweise schon während des Prozesses herausstellte, dass alles ganz anders gewesen sein muss. Der kommunistische Mörder zum Beispiel wies am Abend seiner Verhaftung zwei gebrochene Rippen und etliche Platzwunden auf - er war zuvor von vier übermütigen Schwarzhemden aufs Übelste verprügelt worden, bevor er in Notwehr schoss. Schöner allerdings ist dies: Die Kugel, die im Kopf des Opfers gefunden wurde, stammte nicht aus der Waffe des Angeklagten.

Stilistisch changiert Camilleri anfangs zwischen dem seriösen Protokoll-Stil von Leonardo Sciascia und der bürgerlichen Ironie Pirandellos. Aber je länger diese Farce dauert - zu deren Entwicklung Camilleri viele Protokolle zitiert - umso mehr stellt sich der verschmitzt-verschlagene Tonfall des Montalbano-Erfinders und Überzeugungssizilianers ein. Sein Roman ist nicht das Protokoll einer Verschwörung, im Vordergrund stehen bei ihm, wie so oft, die todernste Absurdität und die blökende Dummheit.

Im Nachwort erzählt Camilleri einerseits, was er alles erfunden hat (um einen wahren Fall herum, immerhin). Und dass die Geschichte der Fantasie-Stadt "Mussolinia" durchaus ernst zu nehmen ist. Die findet sich schon bei Sciascia und ist bezauberndstes Sizilien: Um ihren Duce zu ehren, bauen die Sizilianer eine Stadt, "Mussolinia". Das heißt: Sie wollen sie bauen. Sie wird nie fertig. Und eines Tages erinnert sich der Duce an diese Stadt... aber das ist eine andere Geschichte.

Victor Lachner
Andrea Camilleri: Der Märtyrer im schwarzen Hemd Aus dem Italienischen von Moshe Kahn. Piper, München 2007, 260 S., 18,00