GESCHICHTE

Ein Papst von hinten

»Befasse dich einmal mit Gnosis bald wirst du wissen, was los is' nämlich dass unsere Welt einfach zu groß is'.« (Georg Kreisler)

Umberto Eco kann das: Er gräbt irgendeinen (vermutlich sogar echten) Bischof des 16. Jahrhunderts aus und baut ein ganzes Universum um ihn herum. Man fragt sich anschließend, wie man Geschichte verstehen konnte, ohne von diesem Bischof zu wissen.
David Madsen kann das nicht, jedenfalls nicht gut. Er stellt uns den Medici-Papst Leo X. vor, von Ausschweifungen gezeichnet (den halben Roman über kann er kaum sitzen, weil sein Arsch von übermäßigem Anal-Sex lädiert ist), baut ein bißchen Geschichte der italienischen Städte drumherum (ein jederzeit unübersichtliches Feld), läßt Leonardo da Vinci (ein schmutziger alter Mann) und Raffael (ein Ficker von unendlichem Durchhaltevermögen) auftreten, ohne sich besonders um deren Innenausstattung zu kümmern. Und erzählt das alles, skurril, skurril, aus der Perspektive des päpstlichen Zwerges Peppe, dessen Memoiren wir lesen ("ein altes Manuskript ist immer gut!"; Umberto Eco). Aber trotz massiv auftretender Jungfern-Folterung, Exkrementbesichtigungen und Sex-Szenen (selbst der böse Inquisitor wird am Ende schändlichst sodomisiert) sind die "Memoiren eines gnostischen Zwerges" (Deutsch: Der Zwerg, der Papst und die Heiligkeit) vorwiegend langweilig. David Madsen, studierter Theologe, hat einen Professoren-Roman im Stile Felix Dahns geschrieben: Entscheidend ist die historische Kulisse (drei Seiten lang lesen wir was über die Pracht der Papst-Inthronisation), die Figuren sind Thesen-Träger. Peppe steht für die Gnostiker (diese Welt ist die Hölle), Papst Leo für ausschweifenden Katholizismus (es lebe die Sünde, was gäb's sonst zu beichten!), Luther für die merkantile Theologie. Aufgemotzt mit ein paar gruseligen Krüppeln (Zwerg Peppe arbeitet ursprünglich in einer Monstrositäten-Schau) schrillen Sex-Szenen (die Renaissance war ja soo wild!) und ein paar längeren Latein-Zitaten (die nicht übersetzt werden; ts ts) trägt sowas heute das Etikett "deftiger historischer Roman".
Will sagen: Das Bild des Medici-Papstes Leo wird ziemlich geschönt und "vermenschelt", in dem seine Knabenliebe Anlaß für wüste Späße ist; politisch kommt er eigentlich ganz gut weg. Und sicherheitshalber wird der Chef-Gnostiker gleich auch als Lüstling portraitiert, der sich von einer nackten Maid während des Hochamtes so lange stimulieren läßt, bis er in den heiligen Kelch ejakuliert.
Da können sich Theologen einen drauf runterholen.
Erich Sauer
David Madsen: Der Zwerg, der Papst und die Heiligkeit Deutsch von Norbert Ströbe. dtv Nr. 20492, München 2002, 382 S., 10,- EU