SCIENCE FICTION

Keine Rettung

Ken MacLeod denkt über das Menschsein nach

Die Science Fiction ist endgültig beim Menschen angelangt. Nach Weltraum-Kloppereien, politischer Prognostik, dem Rückzug in den virtuellen Innenraum befaßt sich das Genre nun damit, wie der homo sapiens all den Fortschritt eigentlich verkraften soll: "Die Fackel des Fortschritts muß einem besseren Verstand und stärkeren Händen übergeben werden als unseren." - sagt der schottische SF-Autor Ken MacLeod, der sich vorwiegend mit einem Zustand befaßt, den er selbst "post-human" nennt: Wird Künstliche Intelligenz die Rettung bringen oder brauchen wir ein genetisches Upgrade der Gattung?
In seinem jetzt (mit drei Jahren Verspätung auf deutsch) erschienenen Band Die Cassini-Division geht es um den Krieg der Menschen gegen die Menschen: Auf der Erde hat sich eine recht fröhliche kommunistische Gesellschaft entwickelt, auf dem Jupiter haben ehemalige "Außenweltler" eine Kolonie errichtet, die alles Körperliche hinter sich gelassen hat. Bewußtsein gibt's hier nur noch als Datenspeicher, jeder Kontakt zu den ehemaligen Kolonisten ist abgebrochen. Die Cassini-Division, eine Elite-Kampfgruppe der Menschheit, erwartet einen Angriff der Jupiter-Bewohner und will diesem durch einen Genozid zuvorkommen. Unter den Erdlingen bricht ein Streit aus: ist das Löschen der Jupiter-Daten nicht sowas wie Mord? Immerhin handelt es sich um ehemalige Menschen, die zweifelsfrei einen höheren Seinszustand erreicht haben. Im Buch gibt es dazu einen wirklich knackigen Dialog. Was wir vorhaben, sagt jemand, ist so, als ob die Schimpansen damals den ersten Menschen die Schädel eingeschlagen hätten. Na ja, sagt jemand anderes, man sieht ja, was es ihnen eingebracht hat, es nicht zu tun.
MacLeod, ein politischer Autor mit Spaß am Krawall, hat um diese Fragen herum eine recht saftige Weltraumoper gebaut, Raumschiffe verschwinden in Wurmlöchern, ein Sklavenhalter heiratet seinen Lieblingsroboter, und Ellen May Ngwethu, Ich-Erzählerin und Kommandantin der Cassini-Truppen, gönnt sich zur Entspannung schon mal den mannschaftseigenen Bordkanonier. Dazu gibt's viele nette modische Einfälle (intelligente Raumanzüge der Zukunft können sich bei Bedarf in raffiniert geschlitzte Abendkleider verwandeln), und nebenbei werden Vor- und Nachteile diverser Gesellschaftssysteme diskutiert und veranschaulicht (was MacLeod auch schon in seinen ersten beiden Romanen tat).
Am Ende kommt es zu einer Entwicklung, deren Amoralität beeindruckend ist. Der Mensch ist nicht gut, aber das kann er sich in einem leeren Universum auch gar nicht leisten. MacLeod: "Es gibt keine Retter von oben, keine Engel, keine Aliens, die uns retten werden. Und ganz bestimmt sitzen sie nicht in den Computer-Bildschirmen."
Alex Coutts
Ken MacLeod: Die Cassini-Division. Aus dem Englischen von Norbert Stöbe. Heyne Nr. 6385, München 2003, 366 S., 8,95 EU ISBN: 3453863267