SLAM POETRY
Sehnsucht USA Ein deutscher Sammelband mit viel Witz Goethe kam in meiner Familie nicht besonders gut an." - mit so einem Satz beginnen gute Geschichten. Diese hier, von Jürgen Noltensmeier (siehe auch links "Notizen aus der Provinzö), gipfelt im Besuch des Mindener Stadttheaters, wo Goethes "Götz" gespielt wird, mit Raimund Harmstorf ("Seewolf") und Claus Wilcke ("Percy Stuart") in den Hauptrollen. Claus Wilcke als Weislingen hält seinen ziemlich langen Sterbemonolog. Bis jemand laut auf die Bühne ruft: "Kratz endlich ab, du Sau, wir wollen nach Hause." Das klingt nach einer sehr alten Theater-Anekdote, paßt aber recht hübsch in die Geschichte "Der letzte lippische Uhu", die im Sammelband MACHT zu finden ist. MACHT sammelt Texte aus der Hamburger Slam-Poetry-Szene der 90er Jahre ein, als Autoren in Kneipen um die Wette lasen und Literatur und Happening sich kurz die Hand gaben. Wenn sich das heute in einem Sammelband wiederfindet, gibt's natürlich ein Nachwort. Da steht dann: "Die vielfältige Vernetzung mit anderen Kunstformen gewährleistet eine Verortung dieses Autorenpools in einem urbanen Kulturumfeld, dessen Bezüge weit über die Grenzen der Literatur hinausreichen" - ups! sagte das Gymnasium, da bin ich wieder. Dabei sind die Texte in MACHT erstaunlich und vorwiegend heimatlos. Vieles spielt in den USA und mit der Sehnsucht nach Fremde. Von Lars Dahms sind zwei beindruckende und bewegende Texte abgedruckt, die von dem Versuch handeln, mit einem Nissan die USA zu durchqueren: "Je weiter wir nach Westen fahren, je kleiner wird der Nissan. Das liegt daran, daß die hier Auto Fahrenden gewaltige Pritschenwagen bevorzugen, mit denen man Häuser durch Schluchten ziehen kann. Wenn wir zwischen ihnen parken, merken wir uns die Position anhand von Landmarken". Das Fremde findet aber auch manchmal mitten in Hamburg statt, auf einer Sylvesterfete. Karin Duve (eine der wenigen, die's vorübergehend in den etablierten Literaturbetrieb geschafft haben), steht einsam und brummig auf einer Party herum. Sie beobachtet einen Jungen. "Jetzt weiß ich, wo ich ihn schon gesehen habe. Er ist Sänger. Man muß ihn nicht kennen. Aber hier kennen ihn alle. Sänger interessieren mich nicht. Mich interessieren Schlagzeuger. Aber ich kriege immer bloß Bassisten." Manche Texte haben etwas leicht somnanbules. Michael Weins etwa ist ganz wunderbar weggetreten (wenn er Zucker ißt, erscheinen Engel), Verena Carl erinnert sich recht bezaubernd an die erste Liebe (und verlegt vor lauter Begeisterung fürs Zeitcolorit die "Stoppt Strauß"-Kampagne ins 85er-Jahr; ts ts). Es gibt in MACHT auch Gedichte. Die sind allesamt fürchterlich. Und es gibt eine nette Reportage von Tina Uebel, wie sie mal bei Jürgen von der Lippe zu Gast war. Und sich anschließend umbrachte. Die MACHT-Macher haben sich wohl einen Sammelband vorgestellt, der "die" Hamburger Literaturszene in ihrer - ups! - Urbanität vorstellen sollte. Herausgekommen ist gottseidank was vollkommen anderes. Nämlich viel Provinz und Einsamkeit. Und ne Menge unterhaltsamer Texte. Thomas Friedrich
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MACHT organisierte Literatur Mit Zeichnungen von Abs˙nnd. Rotbuch, Hamburg 2002, 286 S., 15,- EU Für das Gymnasium schulde ich Hermann L. Gremliza ´n Groschen |