PETER LORRE

Ein geniales Scheusal

Zwei neue Porträts eines großen Schauspielers - und ein altes

Wir kennen ihn als Mörder (M) - und als früh Erschossenen (Casablanca), als Detektiv (Mr. Moto) - und sonst fast gar nicht. Das zu ändern, war Felix Hofmanns erstes Anliegen. Daß wir jetzt mehr wissen, liegt aber mehr an Stephen D. Youngkin.
Der Amerikaner kürzte für den Deutschen seine unveröffentlichte große Lorre-Biographie auf einen "Emigrations"-Essay zusammen, faktenreich, voller human touch, und angerührt von den fortschreitenden Selbsttäuschungen eines zum Chargen gealterten Charakters. Youngkins 60 Seiten reichen von 1931 - da wurde Lorre mit Brecht von der SA aus dem Berliner Schiller-Theater hinausgebuht - bis 1951, als sein amerikanisches Film-Regie-Debüt, Der Verlorene, nach seinem eigenen Roman, in Deutschland am Desinteresse des Publikums scheiterte. Lorre ging nach Hollywood zurück, spielte noch in 19 Filmen und drei Dutzend TV-Serien den sinistren Sidekick ... 1964 starb Peter Lorre, 1904 als Ladislav Loewenstein geboren, an einer Gehirnblutung.
Wenigstens das Faktum hat der Deutsche auf den ersten 100 Seiten des Doppelbuches nicht zum Kunstgriff des Weltgeistes umgedeutet. Sonst aber fast alles; vom ersten Erscheinen Lorres auf der Leinwand (als Schatten, in M, 1931) bis zu seinem letzten Auftritt per Mattscheibe (The End of the World, Baby, 1964). Unter Felix Hofmanns Händen wird Peter Lorres Leben und Werk zur exemplarisch zerrissenen Geschichte mindestens "des mittleren Drittels dieses Jahrhunderts". Dabei gibt Hoffmann selbst ein schlechtes Beispiel: er sucht, gute, Fotos aus - und schreibt nicht dran, aus welchen Filmen sie sind; und er läßt eine Freundin unnötige "literarische" Inserts zu seiner oft kirchenhaften Film-Figur-Betrachtung schreiben: "Er ist in die übelsten Jahrzehnte des noch laufenden Jahrhunderts hineingeworfen worden" - bah - das hat der verängstigte Avantgardist der 30er, das gefürchtete Party-Tier der 40er, der Freak der 50er nicht verdient. Aber es gibt zur Zeit leider kein besseres deutsches Buch über Peter Lorre (genauer: gar kein anderes) als diese beiden in einem Band. Ja, daß es eines geben sollte, hätten wir ohne dieses gar nicht bemerkt. Dafür ist Felix Hofmann zu danken.
Daß aber vor 10 Jahren schon mal ein sehr ordentliches erschien, das hätte Felix Hofmann undbedingt wissen und erwähnen erwähnen müssen. Immerhin hat damals dessen Autor Friedemann Beyer mit Hoffmanns heutigem Co-Autor Youngkin zusammengearbeitet. Und bedankt sich für Hilfe bei einem Michael Farin (Hofmanns Verleger heißt Klaus Farin). Peter Lorre. Seine Filme - Sein Leben enthält auch mehr Fakten (Lorre erfindet beim Stehgreiftheater das Method Acting - Goebbels nannte Peter mal den Lieblingsschauspieler des Führers -...) und weniger aussdrucksstarke, aber gut betextete Fotos. Dafür kaum Deutungen, keine feuilletonierenden Elogen auf Film- und Darstellungskunst, nur wenig Psychologie - und sogar ein bißchen Kritik: L.'s M.-Stigma war eben auch ein selbstauferlegtes.
Dieses Buch zu verschweigen, nimmt Hoffmanns herer Ehrenrettung eines Vergessenen den moralischen Boden. Was bleibt, ist bloß die Wirklichkeit: Felix Hofmann ist lieferbar, Peter Lorre ist tot.
WING
Felix Hofmann / Stephen D. Youngkin: Peter Lorre. Portrait eines Schauspielers auf der Flucht. München, belleville 1998, 181 S., DM 38.-
Friedemann Beyer: Peter Lorre. Seine Filme - sein Leben München, Heyne 1988, 301 S. DM 12.80