LEBENSWERK

Die sanfte Rebellin

900 Seiten von und über Astrid Lindgren

Große Menschen haben nie etwas Lustiges. Sie haben nur einen Haufen langweilige Arbeit und komische Kleider und Hühneraugen." Recht hat sie, die Pippi. Und als "großen Menschen" können wir uns Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf auch wirklich nicht vorstellen. Zum Glück hat sie rechtzeitig ihre "Krummeluspillen" eingenommen, denn die verhindern das unliebsame Großwerden. So bleibt sie immer der anarchische Rotschopf aus der Villa Kunterbunt, mit Bärenkräften und einem goldgefüllten Koffer ausgestattet. Genauso, wie Astrid Lindgren sie sich 1941 ausgedacht hat.
Das Werk-Porträt Zum Donnerdrummel! portraitiert auf über 900 Seiten die berühmte Schwedin, die am 28. Januar mit 94 Jahren gestorben ist. Das Buch greift auch die weniger bekannten Aspekte ihres Schaffens auf. Darüber hinaus verknüpfen die Herausgeber geschickt Biografie und Fantasie der Autorin: Viele Werke sind in Auszügen abgedruckt (der Roman Ronja Räubertochter sogar ungekürzt), dazwischen finden sich Interviews, Erläuterungen zur jeweiligen Entstehungsgeschichte sowie Gastbeiträge zahlreicher Autoren. So schreibt Otfried Preußler über seine beleibte Lieblingsfigur Karlsson von Dach, so enttarnt Henning Mankell Astrid Lindgrens unsichtbaren Schatten, und so preist Alexa Hennig von Lange ihre Favoritin Lotta aus der Krachmacherstraße, "die Mut macht, eigene Kräfte zu entwickeln, und an sie zu glauben".
Kraft hat Astrid Anna Emilia Ericsson aus dem südschwedischen Smaland ganz gewiss gehabt. Außerdem war sie eine ziemlich rebellische Natur. In den 20er Jahren schneidet sie sich die Haare ab, was für eine Frau aus der Kleinstadt Vimmerby höchst revolutionär ist, beginnt ein Volontariat bei der Lokalzeitung und wird schwanger, ohne verheiratet zu sein. Es folgt die zu erwartende soziale Ächtung, ein Umzug nach Stockholm und eine Ausbildung als Sekretärin. Erst später, als sie mit Sture Lindgren verheiratet ist, ein zweites Kind hat und als Stenografin arbeitet, beginnt sie, ihr Talent als Autorin zu entdecken. Britt Marie erleichtert ihr Herz ist Lindgrens erster Erfolg, ein Mädchenbuch, das noch recht konservativ anmutet. Doch bald darauf schlägt Pippi Langstrumpf über alle Stränge und eine Bresche in den Moralismus. Die Geschichte um die kleine Kraftprotzin feiert Riesenauflagen, während Kritiker die Sprache als "schlampig und vulgär" bezeichnen, das Buch demoralisierend finden.
Mit kritischen Reaktionen auf ihre über 80 Bücher und mit kontroversen Debatten um Inhalte wird Astrid Lindgren immer wieder konfrontiert. Ihrer Natur entsprechend kümmert sie das wenig - "das schert keinen großen Geist", hätte sie bestimmt mit Karlsson gesagt. "Ich schreibe, um das Kind in mir selbst zu unterhalten und kann nur hoffen, dass auch andere Kinder daran ein wenig Spaß haben".
Astrid Lindgren war auch Journalistin, die sich für den Ausstieg aus der Kernenergie einsetzte, sie war und Drehbuchautorin und engagierte sich für freie Erziehung. Neben dem Einfluss, den sie auch über ihre Literatur hinaus in Schweden hatte, beleuchten die Herausgeber mit Hilfe von ausgewählten Texten auch die Persönlichkeit Lindgrens. Ihr Humor scheint recht unsentimental und selbstironisch gewesen zu sein, aber das können sich ihre kleinen und großen Leser ja denken.
Julika Pohle
Paul Berf, Astrid Surmatz (Hg.): Zum Donnerdrummel! Astrid Lindgren - Ein Werk-Porträt. Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, Hamburg 2001. 908 S.