WISSENSCHAFT

Liebe und Retinin

Alan Lightman über Gefühle, Physik und verschmorende Transistoren

Es muß auch Theoretiker geben. Und er, schreibt Alan Lightman, Professor für Astrophysik am MIT, habe das am Ende seines College-Studiums erst gelernt. Da gab es nämlich einen Elektronik-Kurs für angehende Wissenschaftler. Und während er vorher im Labor Lichtgeschwindkeit messen mußte, sollte er hier nur ein einfaches, aus ein paar Transistoren zusammengelötetes Gerät bauen, das bei bestimmten Tönen brummt, bei anderen nicht. Lightmans Gerät brummte genau einmal und verschmorte dann kläglich. Seither weiß er, dass er ein Theoretiker ist.
Aber was für einer! Ein Essay beschreibt nur eine Begegnung zwischen Mann und Frau. Wie der Sehnerv Informationen weiterleitet, wie Millionen von Molekülen zusammenspielen, damit wir die Wirklichkeit auch erleben, wie das freundliche "Hallo!" der Frau sich durchs Trommelfell des Mannes arbeitet, die Filamente die Töne dechiffrieren, der Hörnerv des Entschlüsselte durch den Thalamus ans Großhirn weiterleitet ... und dann endet Lightmans Essay in der wundervollen Bemerkung: "Das alles ist bekannt. Nicht bekannt ist, warum der Mann nach etwa einer Minute zu der Frau hinübergeht und lächelt."
Mit ähnlicher Eleganz geht er der Frage nach, woher wir eigentlich wissen, dass die Erde eine Kugel sei oder was Kunst und Physik gemein haben. Diese Gemeinsamkeit ist Lightmans Lieblingsthema (er ist auch als Romancier hervorgetreten) - und seine größte Schwäche. Er besitzt einen guten Stil und ein bißchen Witz, um auch über Literatur und Malerei zu schreiben. Aber wenn er etwa versucht, Mark Twain zu imitieren, ist er schlicht langweilig. Im Gegendsatz zu seinen populärwissenschaftlich ebenfalls erfolgreichen Kollegen Stephen Jay Gould oder dem verstorbenen Carl Sagan, die schöne Funken aus fachübergreifenden Überlegungen schlagen können, ist Lightman die Physik spürbar zu wenig. Er will brillieren - das wirkt manchmal peinlich.
Gut hätte es dem Band getan, wenn die Erscheinungsdaten der Essays aufgeführt worden wären. Ein Text, der den Auftritt von Stephen Hawking 1984 beschreibt und der Frage nachgeht, ob dessen Weltformel wohl richtig sein könne (sie war es nicht), wirkt heute seltsam deplaziert.
Erich Sauer
Alan Lightman: Zeit für die Sterne. Ausgewählte Essays Aus dem Amerikanischen von Friedrich Griese. Hoffmann & Campe, Hamburg 2000, 223 S., 29,90 DM ISBN: 345504431X