LIEBE

Was bleiben wird

Unterschiedliche Versuche zu einem widersprüchlichen Gefühl

»Verliebt sein heisst, den Unterschied zwischen einer Frau und einer anderen ungebührlich überschätzen.« (G.B. Shaw)
»Boy, does it hurt!« (Randy Newman
)
Das Tintenfass, das jährliche "Magazin für den überforderten Intellektuellen", geht im Titel der einfach zu beantwortenden Frage Macht Liebe krank? nach. Ist das eine Frage?
Die Texte und Zeichnungen, die zum Titel gesammelt wurden, sind harmlos und fantasiearm. Das Andersch-Gedicht ("Die Ankunft der Liebe") mag ja eines der schönsten Liebesgedichte sein, hat aber gerade mit der gesundheitsverändernden Kraft der Liebe wenig zu tun. Viele Zeichnungen sind dem zeitgleich erschienenen neuen Band von Sempé entnommen (siehe Ultimo 22/99), und wie die Texte von Hartmut Lange, Doris Dörrie und Ray Bradbury behandeln sie eher den normalen Fall "Liebe", nicht das Pathologische, Zersetzende, Wahnsinnige, In-den-Irrsinn-Treibende, wozu es ja wirklich viele schöne Beispiele und Texte gibt. Andererseits verströmt Diogenes' Tintenfass seit Jahren eine etwas muffige Biederkeit, was daran liegen mag, dass man das Literaturmagazin vorwiegend als Reader für Neuveröffentlichungen des eigenen Hauses nutzt.
Wie die Liebe mit einem Donnerschlag ins Leben fährt und danach nichts mehr ist wie vorher, hat Connie Palmen in dem traurigen Buch I.M. aufgeschrieben. Es ist die wahre Geschichte einer verrückten Liebe zwischen der frisch entdeckten Autorin Connie Palmen (die 1991 mit Die Gesetze debutierte) und dem scheinbar abgeklärten Entertainer, Reporter, Kolumnisten und Lebemann Ischa Meijer, der in den Niederlanden ein Star war. Die beiden lernen sich anlässlich eines Interview kennen und verfallen einander sofort und restlos. Weil beide aber erwachsene, kluge Menschen sind, hat das viele lustige Momente, wird jedes Pathos gebrochen, nur der Schmerz und die Trauer, die Ängste sind echt. Keine fünf Jahre bleiben dem Paar, dann stirbt Meijer überraschend an einem Herzinfarkt. Das Buch der Palmen ist einerseits eine grosse Liebeserklärung an diesen Mann, andererseits Zeugnis ihres Gefühls, vom Leben beschissen worden zu sein. Als eine von Meijers Freundinnen gefragt wird, was wohl nach seinem Tod von ihm bleiben werde, antwortet sie spontan: "Connie!". Grösser kann Liebe wahrscheinlich nicht sein.
Das schlimme an der ersten Liebe ist, dass mit ihr die Welt zu enden scheint. Nie ist man sich so endgültig sicher, am Ende allen Suchens zu sein wie mit 15 oder 16, wenn einem die erste Liebe über den Weg läuft. Der Literaturkritiker Charlie Simmons hat darüber die schöne Erzählung Salzwasser geschrieben. Ein Sommer am Meer mit den Eltern, das Leben scheint den Atem anzuhalten, und dem 15jährigen Ich-Erzähler läuft die erste Liebe über den Weg, eine 20jährige New Yorkerin, die das Strandhaus nebenan gemietet hat, eine angehende Fotografin, einfühlsam, verletzlich, klug. Wie diese Liebe erst sanft erblüht, das Herz warm macht, und wie alles (etwas zu) dramatisch scheitert, hat Simmons in einer ruhig dahinfliessenden, lakonischen Sprache aufgeschrieben. Es gibt kein Pathos, keine "heiligen Momente", nur trägen Sommer und den langsamen Verlauf der Ereignisse. Am Ende, als alter Mann, schreibt der Autor: "Mutter, Melissa und ich standen auf der einen Seite der Liebe, da, wo es wehtut. Vater, Mrs. Hertz und Hillyer standen auf der anderen." So pointiert und einfach kann man das sagen. Wenn man's kann.
Victor Lachner
Tintenfass Nr. 23: Macht Liebe krank? Diogenes, Zürich 1999. 263 S., 10,- DM Connie Palmen: I.M. Ischa Meijer - In Margine, In Memoriam aus dem Niederländischen von Hannie Ehlers. Diogenes, Zürich 1999, 400 S., 39,90 DM Charles Simmons: Salzwasser aus dem Amerikanischen von Susanne Hornfeck. C.H. Beck, München 1999, 136 S., 34,- DM