ESSEN & TRINKEN
Du darfst!
Eine Kampfschrift gegen Hungerleider und Fettvermeider: das »Lexikon der populären Ernährungsirrtümer«
In den USA befassen sich bereits Fünfjährige mit Diäten", schreiben Udo Pollmer (der Wissenschaftliche Leiter des Europäischen Instituts für Ernährung und Gesundheit) und Susanne Warmuth (Biologin) in ihrem Lexikon der populären Ernährungsirrtümer, "in Deutschland fangen die Achtjährigen damit an. Jede dritte Gymnasiastin mach sich nach dem Essen Sorgen, zu dick zu werden. Über 50 Prozent glauben bereits, sie hätten zu starke Oberschenkel." - der Schlankheitswahn hat üble Folgen.
Diäten machen dick
Wer immer wieder versucht, abzunehmen, nimmt auf Dauer eher zu, wird dabei übellaunig - und ruiniert seine Gesundheit. Wer die Butter dünn kratzt, die Körner auf der Brotkruste zählt und sich vor allem mit "Light"-Produkten ernährt, sollte vor allem mit zwei Folgen rechnen: einer mächtigen Ess-Störung - bis hin zur Bulimie - und einer verkürzten Lebenserwartung. Gewaltsam Abnehmen ist viel gesundheitsschädlicher als gemächlich zunehmen. Tatsächlich ist es normal, im Laufe des Lebens moderat dicker zu werden; wer alle paar Jährchen ein bis zwei Kilo zulegt, hat, statistisch gesehen, sogar die höchste Lebenserwartung.
Der Rohkost-Irrtum
Rohkost zu verdauen, ist echte Arbeit. Weshalb Pflanzenfresser einen erheblich längeren Darmtrakt besitzen als Fleischfresser: Pflanzenfasern sind halt zäh. Drolligerweise entwickelte sich das Menschenhirn gerade in der Zeit gewaltig, als der homo erectus das Kochen erfand, also die verdauungsvorbereitende Nahrungsbehandlung. Was einleuchtet, denn gut 25% unseres Energiebedarfes verbraucht unser Gehirn, nur vom Möhrenknabbern wären wir nicht so klug geworden. Deshalb ist beim Menschen, als "Allesfresser", der Darm erheblich kürzer als bei einem Wesen, das sich nur von Rohkost ernährt. Pollard/Warmuth: "Wer heute den Verzicht auf den Kochtopf fordert, will wesentlich weiter zurück als in die Steinzeit. Und er müßte womöglich sein Gehirn gegen einen längeren Darm eintauschen."
Die Nichtzutat
Auch mit dem deutschen Lebensmittelrecht wird abgerechnet. Wenn etwa auf dem Frucht-Joghurt steht "Ohne Zusatz von Konservierungsstoffen", heißt das nicht, das keine Konservierungsstoffe im Becher sind. Die Fruchtzubereitung kann durchaus mit Konservierungsstoffen behandelt worden sein. Da deren Menge aber nicht ausreichen würde, den gesamten Joghurt haltbarer zu machen, wird der zugesetzte Konservierungsstoff zur "Nichtzutat". Das gilt bei Kombinations-Produkten (wie dem Fruchtjoghurt) übrigens immer dann, wenn die Kombi-Zutat weniger als 25% des Endproduktes ausmacht.
Dass in manchen Nahrungsmitteln Müll ist, schreiben die Autoren nicht nur den Herstellern zu. Ein eigenes Kapitel befaßt sich mit dem mörderischen Konkurrenzkampf, der unter den Handelsketten ausgetragen wird, die ihre Rabatte bei den Herstellern einfordern: willst du dei Produkt bei mir ins Regal stellen, mußt du erst einmal Regalmiete bezahlen. Und den Einkaufspreis schreibe ich dir auch vor - vor allem der US-Riese Wal Mart und Aldi sind für solche Praktiken berüchtigt. Der Hersteller muß sehen, wie er zu diesen Bedingungen noch produzieren kann. Kommt dann wirklich mal ein "Skandal" zustande wegen verunreinigter Lebensmittel, nimmt der Handel einfach die Ware aus dem Regal und ersetzt sie durch eine andere.
Heilige Kühe
Erfreulich ist, dass das Lexikon auch randständigen, dennoch hartnäckigen Vorurteilen auf den Grund geht. Etwa der unausrottbaren Besserwisserei, den Indern ginge es gut, wenn sie ihre "heiligen Kühe" schlachteten. Erstens ist es effektiver, Grünzeug direkt zu verwerten (als es erst über Fütterung in Rindfleisch zu verwandeln), zweitens sind die Rinder gute Arbeitstiere, ohne die die Landwirtschaft zusammenbräche, und drittens, käme es zu einem Rindfleischmarkt in Indien, würden wertvolle Anbauflächen in Weideflächen verwandelt - ein Segen, dass die Inder ihre Kühe nicht antasten.
Fette und Öle
Das Olivenöl zeigt, wie müßig es ist, den Ratschlägen der Experten zu folgen: mal war es schieres Gift, dann wieder sagenhaft gesund, nun wird es wieder kritisch gesehen, das fischige "Omega 3"-Öl ist der Renner.
In der sogenannten Sieben-Länder-Studie wurde festgestellt, dass es in Südeuropa weniger Herzerkrankungen gibt als im Norden. Also wurde die "mediterrane Diät" empfohlen: wenig Fett, viel Grünzeug, kaum Fleisch. Nur wird im Süden ganz anders gegessen. Dass Spanier erheblich mehr Fleisch verdrücken als Mitteleuropäer, störte die Experten dabei wenig. Und wer schon einmal "mediterran" gegessen hat, weiß, dass südliche Speisen nicht nur oft heiß, sondern auch fettig sind. Der Zusammenhang zwischen Herzerkrankungen und Fettkonsum läßt sich heute nur noch schwer aufrechterhalten. So ist Japan zwar nach wie vor das Land mit den niedrigsten Herzinfarktzahlen - aber der Fettkonsum ist dort in den letzten Jahren um 30 Prozent gestiegen, die Infarktzahlen sind aber weiter rückläufig.
Ein guter Tropfen
Warum es unseren mediterran futternden Mitmenschen zumindest am Herzen besser geht als uns, dafür haben Pollmer und Warmuth eine originelle Erklärung parat: in den nämlichen Ländern wird erheblich mehr gesoffen, im Schnitt eine halbe Flasche Wein pro Tag und Kopf, Kinder und Greise mitgerechnet. Kein Wunder, dass die Ess-Empfehlung der Autoren herzlich einfach ausfällt: "Essen, was schmeckt, und dazu einen guten Tropfen genießen."
Übrigens: wer wirklich was für seien Gesundheit tun will und der Verfettung vorbeugen will, sollte einfach viel an der frischen Luft sein und sich bewegen.
Erich Sauer
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