Nazis

Hitlers Indianer

Der Versuch einer Biographie jenes Mannes, der Adolf Eichmann verhörte

Avner Werner Less war eigentlich gelernter Damenfriseur, bevor er von den Briten in Palästina als Hilfspolizist eingestellt wurde, um englische Kasernen zu bewachen. Der junge Staat Israel übernahm Jahre später den inzwischen zum Polizei-Leutnant aufgestiegenen Deutschen. Less wurde Fachmann für Wirtschaftskriminalität. In dieser Eigenschaft stieá er zum "Büro 6", jener israelischen Sondereinheit, die den Prozess gegen Eichmann vorbereitete. Less wurde, für ihn vollkommen überraschend, Eichmanns Verhöroffizier.

Die Höflichkeit, mit der Less dem Massenmörder begegnete, war auch unter den eigenen Leuten umstritten. Dass Less Eichmann mit "Herr" ansprach, war für viele Kollegen schwer zu ertragen. Sie unterstellten Less, von Eichmann fasziniert zu sein, ja, ihn wohl zu bewundern.

Das nichts falscher sein könnte (Less' Vater war in Auschwitz ermordet worden), ist seit langem bekannt. Ergänzt wird die präzise und für Less schmerzhafte Haltung durch den Band Lüge! Alles Lüge!; der Titel zitiert dabei einen Notizzettel Less', den die Herausgeberin Bettina Stangneth im Laufe ihrer Eichmann-Recherchen entdeckte.

Während er offizielle Verhörunterlagen anfertigte, machte Less sich Notizen, schrieb Tagebuch und sprach auch (wenig) mit seiner Frau über seine Arbeit. Seine Verachtung für den Mörder und Feigling Eichmann war grenzenlos. Dass der Mann, der Eichmann am längsten und intensivsten befragt hatte (und dabei selbst viel über die Nazis lernte, was er selbst, der er in den 30ern ins Exil gegangen war, gar nicht wissen konnte) nie dazu kam, seine umfangreichen Unterlagen zu ordnen und in einem Buch zusammenzufassen, ist tragisch. Auáer ein paar verstreuten Nachworten und Interviews ist wenig von Less erhalten geblieben. Der Band Lüge! Alles Lüge! versucht, dieses Manko zu mindern, in dem er versucht, eine Biografie Less' zu entwerfen.

Dass der Mann, der gerne Gedichte schrieb und von grundlegender Freundlichkeit war, mit diesem Buch allein nicht zu fassen ist, wundert nicht. Als Einführung in die Welt Eichmanns ist es aber ebenso spannend wie als biografische Skizze eines Mannes, dessen verschlungener Lebensweg von Deutschland über Paris nach Israel und wieder nach Deutschland führte.

Über Eichmann und die Deutschen notierte Less: "Es war Karl May in Reinkultur, der sie mit den Vorbildern vom heldenhaften Indianerrecken à la Winnetou bildete, auch in der schwersten Stunde nicht mit der Wimper zu zucken. Auch heute lebt der Winnetoukult in Deutschland weiter. Kein anderes Land hat diese lächerlichen christlich-zugeschnittenen heidnischen Heldenfiguren in seine Literatur aufgenommen. In Deutschland paart sich Karl May mit Goethe in der Bibliothek eines biederen Deutschen. Und die, die ihn nicht im Bücherschrank haben, tragen die Erinnerung an Kara ben Nemsi in ihrem Herzen weiter."

Und an anderer Stelle, kürzer: "What a rotten swine."

Erich Sauer

Avner Werner Less: Lüge! Alles Lüge! Aufzeichnungen des Eichmann-Verhörers. Rekonstruiert von Bettina Stangneth. Arche, Zürich, Hamburg 2012, 350 S., 19,95