INSULANER
Mensch in der Revolte
»Der Leguan« - ein Roman über Liebe, einsame Monster und die Moral des Widerstands
Der Mann ist so häßlich, dass noch nie jemand mehr als fünf Minuten mit ihm gesprochen hat - länger hält man den Anblick dieser häßlichen, verwachsenen Fratze nicht aus. Der Mann ist Harpunier auf mehreren Walfängern, ein guter Harpunier, dem seine Schiffskameraden vertrauen, wenn er das kleine Boot steuert, mit dem sie hinter dem Wal her sind. Aber danach, an Deck, beim gemeinsamen Besäufnis, will niemand mehr etwas mit ihm zu tun haben.
Den Mann, Oberlus, "das Monster" oder auch "Der Leguan" (angeblich nach seinen entstellten Gesichtszügen so genannt), soll es im 18. Jahrhundert gegeben haben. Und es gibt, so sagt es der Roman Der Leguan, bei den Galapagos-Inseln noch heute die "Oberlus-Bucht" auf Hoods Island.
Dort soll der Mann jahrelang gelebt haben, zunächst allein, schließlich als König eines gerademal 5köpfigen Volkes, das er gnadenlos quälte.
In Der Leguan hat Alberto Vàzquez-Figueroa diese Geschichte 1982 aufgeschrieben, jetzt erscheint sie erstmals auf Deutsch. Es ist die ruhig erzählte Geschichte eines Monsters, das eines Tages beschließt, nicht mehr Opfer sein zu wollen. Nicht Mitleid ist das Mittel der Rettung, sondern Widerstand: "Auf Grausamkeit mußte man mit Sadismus antworten, auf Ungerechtigkeit mit Gewalt, auf Peitschenhiebe mit Mord" schreibt Vàzquez-Figueroa, und wie so oft ist nicht klar, ob dies die Meinung des Autors oder des Leguans ist.
Dessen Schreckensherrschaft ist ebenso fürchterlich wie leidenschaftslos. Er foltert und tötet nicht zum Spaß, sondern weil diese Mittel den erwünschten Effekt erbringen: Angst, Demut, Willfährigkeit seiner Sklaven. Ich tue nichts anderes, denkt der Leguan, als jeder beliebige König oder Adelige: Aufstand wird mit dem Tode bestraft. Endlich frei von Verfolgung und Häme, lernt Oberlus von einem seiner Gefangenen Lesen und Schreiben, liest die "Odyssee" und den Don Quichote und systematisiert seine einfachen Gedanken.
Der Clou der Geschichte ist, dass Vàzquez-Figueroa eine Frau für den Leguan erschafft, Nina, ein schönes, wildes Wesen, auf ihre Art ein Monster, das bereits drei Männer auf dem Gewissen hat, bis sie dem Leguan in die Hände fällt, der sie erst einmal eine Nacht lang vergewaltigt. Er hält sie fortan nackt in Ketten, als Hausfrau, Geliebte, Gesprächspartnerin.
Es wäre der üblich schale Triumph der Gefühle, wenn Oberlus, der überhaupt zum ersten Mal mit einer Frau zusammen ist, sich von der Liebe überwältigen lassen würde. Aber er lernt, dass es eine Monströsität gibt, die jenseits seiner Häßlichkeit liegt. So wie das Böse bei ihm als Notwehr auf sein Äußeres entstand, ist es bei Nina ein Mittel gegen die Männerwelt, gegen die geforderte weibliche Unterwürfigkeit. Nina hinterläßt ihre Toten genauso gleichmütig wie Oberlus, nur dass sie sich die Hände nicht selbst schmutzig macht.
Der Leguan hat seine ganz eigene Moral. So, wie der durch Tuareg bekannt gewordene Autor Vàzquez-Figueroa sie erzählt, scheint sie nur eine zum Zynismus herausfordernde Parabel über das Böse zu sein. Aber sie handelt von der moralischen Legitimität der Gegenwehr. Und wie im wirklichen Leben ist die Antwort auf dieses Problem hinter Sadismen und Bosheiten gut versteckt.
Victor Lachner
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