KRIMINELL

Starker Start

Lee Child hat ein beeindruckendes 134 Seiten-Buch geschrieben; schade, daß es 479 Seiten hat

Selten hat ein Krimi so gut angefangen: Ein Mann beobachtet seine eigene Verhaftung. Er sitzt in einem Diner und wartet auf sein Frühstück. Mehrere Streifenwagen fahren plötzlich vor, Cops kommen mit gezückten Knarren in den Laden. Mit professionellem Blick beobachtet der Mann, daß die Cops gut sind, ein gut eingespieltes Team. Und sie verhaften ihn. Und beschuldigen ihn des Mordes. Der Mann ist nur auf der Durchreise, ein Tramp, ein ehemaliger Militärpolizist, der nur zufällig in diesem Kaff in Georgia Station gemacht hat. Aber der örtliche Polizeichef schwört, daß er diesen Mann nachts am Stadtrand gesehen hat, bei einem Lagerhaus. Vor diesem Lagerhaus liegt ein ziemlich toter Mann.
Solange wir uns in das Geheimnis dieser Geschichte hineintasten, ist der Krimi Größenwahn des Briten Lee Child ungewöhnlich spannend. Solange die Welt unverständlich bleibt, hat diese Geschichte eine provozierende Lakonie. Es gibt zermatschte Leichen, zerquetschte Kehlköpfe, versuchte Vergewaltigung - und alles in einem Ton der Ruhe, der die Spannung verschärft, weil wir - wie der Held - keine Ahnung haben, was sich da eigentlich abspielt.
Aber auf Seite 134 wechselt das Buch die Fronten. Und fängt an zu erklären. Und dann sind wir fürchterlich enttäuscht. Nicht nur wegen der krassen Unlogik und der unglaubhaften Zufälle, die Child bemüht, um seine Verschwörungs-Geschichte ans laufen zu kriegen. Sondern vor allem wegen der verlorengegangenen Lässigkeit. Der Held wird plötzlich wütend. Und verliebt sich, was zu einer wieder einmal lausigen Liebesszene führt (warum können Krimi-Autoren keine ordentlichen Fick-Szenen schreiben - und noch schlimmer: warum versuchen sie es trotzdem immer wieder?). Jedenfalls ist am Ende alles so dumm und brutal, daß man sich doppelt ärgert. Erstens, weil man den Quatsch bis zu ende durchgehalten hat, in der vagen Hoffnung, doch noch eine gute Geschichte erwischt zu haben. Und zweitens, weil die Frage, warum ein Buch mit einem derart starken Anfang derart im Läppischen versandet, ins Leere führt.
Alex Coutts
Lee Child: Größenwahn Aus dem Englischen von Marie Rahn. Heyne, München 1998, 479 S., 39,80 DM