MÄDCHEN
Liebes-Chaos
Alexas Lelle mausert sich
Die Neunziger waren ja sowas von furchtbar! Sogar noch schlechter als die Achtziger, behaupte ich jetzt mal. Man sagt Sachen wie "Das zündet richtig rein!ö, trägt unförmige Holzfällerhemden und steht auf Axl Rose.
Alexa Hennig von Lange hatīs gut. Die war damals schon aus dem Gröbsten raus. Ihre Heldin allerdings ist im letzten Teil der Lelle-Trilogie Erste Liebe gerade der Pubertät entwachsen und wird jetzt extrem neunzigerjahremäßig sozialisiert. Naja, Lelle hat natürlich erstmal andere Sorgen - seit Ewigkeiten wartet sie auf ihr Solo im Chor, und was noch viel schlimmer ist: ihr Liebster ist nach Afrika gezogen, um dort Lehmhütten zu bauen, und lässt sie allein in ihrem neuen Zuhause, dem Hinterzimmer von Papas Büro.
Doch es dauert nicht lange, da verguckt sich Lelle in den Drummer einer Band, Marcel. Der gilt als passionierter Herzensbrecher, und kaum hat sich Lelle zwischen Afrika-Liebe und Berlin-Romanze entschieden, gehtīs auch schon mit ihren Sangesschwestern zur 10tägigen Chorfreizeit ins Kloster.
Da ist er also, der finale Roman der Lelle-Trilogie. Auf die Kindheitserzählungen in Lelle und die Pubertätsgeschichten in Ich habe einfach Glück musste ja ein Coming-off-Age-Part folgen. Aber was sich in der Kürze der Beschreibung vielleicht anhört wie eine beliebige Teenager-Story im Nostalgiegewand, gewinnt durch die gewohnt frische, lebendige Erzählweise der Autorin an Charme und Ausdruck. Was Erste Liebe zu einem der Bücher macht, die einen zum Ende hin ganz depressiv stimmen, weil die Seiten immer weniger werden. Die ständigen Querelen mit Lelles neurotischer Familie (dem phlegmatischen Vater, der hypersensiblen Mutter und der sexsüchtigen Schwester) lesen sich amüsant, und auch Lelles außergewöhnliche Gedankengänge verfolgt man entzückt. Die hat's halt drauf.
Zwar ist da immer noch das Problem mit ihrer Magersucht, was für manch düstere Momente in der Geschichte sorgt. In Erste Liebe überwiegt aber Lelles unbändige Lust aufs Leben und speziell auf die Liebe. Das Mädchen, das sich in frühester Jugend mal eben praktischerweise selbst entjungferte ("damitī s beim ersten Mal nicht wehtutö), wird hier zwischen Chorprobe und Grungeparty mit dem Phänomen der ersten echten Liebe konfrontiert; klar, dass man da keinen kühlen Kopf bewahrt.
Man möchte der ständig rumwirbelnden Protagonistin öfter mal - ganz im Sinne ihrer Mutter - "Vergiss nicht zu essen!ö hinterherrufen. Aber es passiert ja auch einfach viel zu viel. Das alles mündet dann in einem derart sinngemäßen Happy End, dass man wohlig seufzen und nochmal zurückspulen möchte und ... halt, falsches Medium. Jedenfalls ist Erste Liebe ein Buch, das man so schnell nicht anstauben lässt. Im Gegensatz zum "Hits der Neunzigerö-Sampler.
Michaela Sommer
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