ALLTAG

Sex & the City

John Lanchester schickt seinen Helden Downtown

Leider verrät schon der Klappentext den wohlfeilen Rezensenten-Witz: dies ist ein Leopold Bloom für Angestellte, ein Tristram Shandy für U-Bahn-Fahrer. Aber man kann Mr. Phillips von 6 bis 7 durchaus mit Genuss lesen, wenn man nicht Joyces' Ulysses im Kopf hat oder Sternes wunderliches Buch. Der zweite Roman des Ex-Restaurant-Kritikers und London-Book-Review-Chefredakteurs John Lanchester ist wunderlich genug.
Mr. Phillips, 50, dicklich, ermüdet verehelicht, erwacht aus einem Frauen-Traum. Und denkt gleich erstmal ein paar Seiten über seine Traum-Frauen nach, mit denen er nicht immer unbedingt Sex hat: die Queen, seine Sekretärin, Mrs. Thatcher ... und manchmal unternimmt er etwas Heldenhaftes in Bezug auf den Eurotunnel. Haha, englischer Augenbrauen-Humor. Am Ende des Buches unternimmt Mr. Phillips wirklich etwas Heldenhaftes, aber bis dahin sind es noch 13 Stunden. Die schlägt unser Held, ziellos durch London treibend, tot, denn er ist schon seit einer Woche arbeitslos, hat aber zu Hause nichts davon gesagt. Auch uns belästigt er nicht mit Jammern, nur mit banalen Gedanken über seinen Schwanz, verdorbene Krabbencocktails, den Geruch von Urinsteinen im Lieblings-Pub.
Am allerliebsten aber macht Mr. Phillips Statistiken: wieviele Engländerinnen ziehen sich pro Jahr für Zeitungen aus? (eine ganze Kleinstadt voll) wie viele Engländer hatten noch nie Analverkehr und waren auch noch nie in der Tate-Gallery? (über die Hälfte) ... oder wie knapp vor Annahmeschluss sollte man seinen Lottoschein abgeben, damit die Chance zu Gewinnen höher ist als die Wahrscheinlichkeit, vor der Ziehung zu sterben?
So geht der Tag rum mit Grübeln, Schnüffeln, Schauen und Staunen (etwa über die fein säuberlich in Klarsichthüllen abgelegten Porno-Bilder im Schreibtisch des verstorbenen Vater); mit Middle-Class-Tagträumen (viel Sex) und einer richtigen Stadtführung im Hintergrund. Man sollte Mr. Phillips vielleicht auf die Rückseite von London-Stadtplänen drucken.
WING
John Lanchester: Mr. Phillips von 6 bis 7 Aus dem Englischen von Matthias Fienbork. Paul Zsolany, Wien 2002, 20 S., 17.90 EU