PSYCHOLALA
Der Enigma-Effekt
| Old-Age-Imaginations-Spielerei mit einem Knick Wie bespricht man ein Buch, das einen schon auf der 2. Seite bittet, niemandem zu verraten, was nach der Seite 23 kommt. Außer, daß es 168 weitere sind? So vielleicht: Stellen Sie sich ein Buch vor. Irgendeins. Und so genau, daß Sie beschreiben können, wie groß es ist, wie dick, wie sich der Umschlag anfühlt, in welcher Schrift der Titel gesetzt ist, ob man drin blättern kann und was es kostet. Falls es kein Rezensionsexemplar ist. Stellen Sie sich dann einen Schreibtisch vor, Ihren, meinen, irgendeinen. Auch der muß greifbar vor dem inneren Auge stehen. Und das Buch darauf liegen. Oder darunter. Oder irgendeine andere Beziehung zu ihm haben. Sodann noch ein Schreibgerät - wieder möglichst plastisch und wieder im Gesamtbild. Zum Schluß noch einen Aschenbecher und die Beleuchtung der Szene. Fertig? Dann kommt das Geheimnis der Selbstanalyse: das Buch sind Sie selbst, der Schreibtisch ist die Welt, der Bleistift ist ihr Partner ... oder sind Sie der Aschenbecher und das Halogen-Flutlicht sind Ihr Freunde? Und das Buch ist Ihr Problem? So ähnlich funktioniert "Der magische Kubus", nur mit anderen Objekten. Und mit langen Listen möglicher Bedeutungen (Entfernung heißt Entfernung, hohl heißt heiter, dunkel heißt ignorant ...), mit Beispielanalysen Anonymer und Prominenter (Erica Jong, Douglas Coupland, Karl Pribam ...), ergänzt um ein paar Schnurren über die Geschichte dieses psychologischen Party-Spiels. Man kann eine Menge dabei lernen, eventuell sogar über sich und seine Phantasie. Nur die eigentliche Lehre kann man nicht aus dem Buch ziehen, sondern muß sie der Besprechung glauben: jedes System aus hinreichend unterdeterminierten Elementen und gerade noch überschaubaren Beziehungen erzeugt Bedeutung. Immer. Und jede Bedeutung sagt etwas über ihren Deuter. Nur nicht immer die Wahrheit. Deshalb muß es nicht stimmen, das Slobodan Pesic das uralte Tarot zum Selbstausmalen in den Kaffeehäusern Osteuropas entdeckte - und später in Amerika mit seiner seiner Nachbarin und ihren 14 Katzen ein quadratisches Buch mit silbrig-changierendem Umschlag daraus machte. Aber es hat ganz bestimmt etwas zu bedeuten. Und es ist lustiger als Rorschachs Flecken oder Lüschers Farbtafeln. WING
Slobodan D. Pesic/Annie Gottlieb: Der magische Kubus. Ein Erlebnisbuch, das Ihr ganz persönliches Geheimnis offenbart. Aus dem Englischen von Olga Rinne. Scherz Verlag 1996, 192 S., 20.- DM | |