STANLEY KUBRICK
Artifizielle Intelligenz Der Herr der toten Bilder wird nochmal besichtigt Kay Kirchmann hat sich viel Zeit gelassen: vor 12 Jahren schloss er sein Studium mit einer Magister-Arbeit über Stanley Kubrick ab, jetzt schreibt der Medienwissenschaftler sein mittlerweile zum Standardwerk gealtertes Das Schweigen der Bilder für die dritte Auflage noch einmal um. So grundlegend wie nötig, denn Stanley Kubrick hat in der Zwischenzeit nur einen weiteren Film gedreht und ist sofort nach dessen Premiere verstorben. Ausserdem ist Eyes wide shut auf den ersten Blick genau der Film, der Kirchmanns für seine Leit-These damals noch fehlte: Kubrick habe "das Sehen" zum Zentral-Motiv seines Schaffens gemacht. Auf den zweiten kommt dann im neu geschrieben Schweigen-Teil heraus, dass Eyes gar kein Vermächtnis ist, sondern ein zwiespältiges Spätwerk, an dem zu lange herumgebastelt wurde. So ähnlich gehts dem Buch. Die ersten Kapitel sehen immer noch stark nach einer akademischen Arbeit aus, erzählen vieles, was inzwischen auch anderswo schon stand (Kubrick habe einen "kalten Stil" etwa, na klar, Kirchmann hat ihn ja erfunden). Leider lassen sie auch manches weg, was man inzwischen hätte wissen müssen. Etwa dass Kubrick in England Dr. Strangelove mitten im Dreh zur Komödie umschrieb, weil Sidney Lumet in Amerika einen Story-Klon als Drama plante (Fail Safe). Und vor allem dessen Kino-Start intrigant verzögerte, bis Dr. Seltsam fertig wurde. Die Buisness-Seite des monomanischen Künstlers Kubrick kommt auch bei Kirchmann zu kurz. Dafür kriegen wir zum Beispiel Romantheorie, die zeigen soll, dass Kubrick filmte wie Flaubert schrieb. Oder wir kriegen eine kurze Kulturgeschichte des Auges (bis zum Barock war das Ohr noch das "höchste" Erkenntnisorgan), um damit die vielen "Blicke" in Kubrick-Filmen als Teil einer Art Theologie der mitleidlosen Weltwahrnehmung sehen zu können. Und wir kriegen Sätze über die "Selbstreferentialität des Visuellen" und den "totalitären Ästhetizismus, der selbst die ästhetizistische Programmatik wiederum aufhebt" dass man erschöpft aufgeben will. Aber dann erklärt Kirchmann in der Regel alles noch einmal in lang; man kann ihm meistens dabei folgen. Wer sich die Mühe machen mag, hat am Ende einen gut sortierten Satz zentraler Motive und Erzählfiguren in Kubricks Werk; sowie zwei recht ausführliche Beispiele des Werkzeugeinsatzes bei der Analyse von 2001 und Clockwork Orange. Das Frühwerk kommt etwas kurz weg, Eyes kommt als Epilog hinten dran, und dass der Titel des Films, den Kubrick dann doch nicht gedreht hat (A.I.) eigentlich viel besser übers Lebenswerk passte, kommt nicht vor. Macht nichts; auch andere schreiben Bücher über Kubrick, und die guten werden, wie bisher, Kirchmanns Buch dazu benutzen. WING
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Kay Kirchmann: Stanly Kubrick. Das Schweigen der Bilder Mit einem Prolog von Boris Groys. Schnitt Verlag, Bochum 2001, 305 S., 29,14 DM www.schnitt.com |