STORYS
Das kleine Heft Agota Kristofs ganz kurze Geschichten Mit ihrem Roman Das große Heft hat die Exil-Ungarin Agota Kristof eines der verstörendsten Bücher der 80er Jahre geschrieben. Die folgenden Romane benutzten immer wieder Personal und Thematik dieses Romanes. Mit dem Kurzgeschichtenband Irgendwo (im Original bereits 2005 erschienen unter dem schönen Titel "C'est égal"), zeigt die Autorin, dass sie sich auch für andere Themen schriftstellerisch zu begeistern weiß. Das beginnt mit der ersten Geschichte, in der eine Frau in atemlosem Monolog dem Arzt zu erklären versucht, dass die Axt im Kopf ihres Mannes irgendwie aus Versehen dort gelandet sein muss. Keine drei Seiten braucht Agota Kristof, um dieser morbid witzigen Geschichte jede Pointe und jede mögliche traurige Wendung entlockt zu haben. Bei anderen Themen braucht sie gerade mal eine Seite, um es abzuschließen. Es geht um den als Waisenkind aufgewachsenen Sohn, der als Erwachsener immer noch jeden Tag seinen Briefkasten beobachtet, hoffend, darin einen Brief zu finden der Beginnt mit "Hallo Jacques, ich bin dein Vater". Manche Texte benutzten eine eher bühnen-übliche Ansprache ("Du hast gedacht, dem Tod entgehen zu können..."), wie in den Romane ist man immer wieder erstaunt, wie wenig Worte Agota Kristof braucht, um immer wieder den Randbereich klischeeartiger Erkenntnisse zu Streifen und daraus kleine, aber innerlich große Texte zu machen. Das Sterben im Krankenhaus, zerfressen von Krebs - darüber gibt es dicke, langweilige Romane. Agota Kristof kann einem mit nicht einmal drei Buchseiten über das Thema das Herz aus der Brust reißen. Es gibt hier kristallklare, schneidend scharfe Texte, schon keine Kurzgeschichten mehr, die beinahe kabarettistisch den Sinn des Lebens hinrichten: "Es gab niemanden, der an der Endstation aussteigen wollte. Trotzdem halten alle Straßenbahnen dort. Es gab auch niemanden, der einsteigen wollte. Egal." Nur ein paar Zeilen später endet diese Geschichte: "Nichts besonderes. Unser Hund ist jetzt stubenrein. Wir haben die Möbel auf Kredit gekauft. Ab und zu schneit es." Das liest sich, als würde einem das Leben in der Hand erfrieren. Thomas Friedrich
Agota Kristof: Nirgendwo. Aus dem Französischen von Carina von Enzenberg. Piper, München / Zürich 2007, 121 S., 14,90 |