KRIMIS
Killing me Softly
Harte Männer träumen von weichen Frauen
James Ellroy hat eigentlich nur zwei Themen: das eine ist die Stadt Los Angeles , ihre Verbrechen , Gerüchte, der ganz spezielle Wahnsinn, der durch die Nähe zu Hollywood entsteht - vor allem in den 40er und 50er Jahren der Stadt kennt Ellroy sich aus; wie er Anekdoten, Tratsch und Historie in seinen Texten zusammenbringt, macht ihn zu einem Stadschreiber des Kriminellen. Seine besondere Verbindung zu dieser Stadt wurde vor ein paar Jahren noch einmal deutlich, als Ellroy Die Rothaarige veröffentliche (erschienen 1997 bei Hoffmann & Campe), ein autobiografisches Buch, in dem er von der Ermordung seiner Mutter Ende der 50er erzählt und wie er viele Jahre später diesen ungelösten Fall noch einmal aufrollt. Den Mörder seiner Mutter hat er nicht gefunden, aber gelernt, dass er nie von L.A. wird loskommen können. Die Rothaarige ist ein Bericht über Männer und Frauen (Ellroys Mutter wurde bei einem nächtlichen Kneipengang ermordet) und dass Kriminalität eigentlich ein Männerproblem ist, Mord allemal. Ellroy schreibt, wie er mit den Jahren lernte, dass Männer eigentlich fast keine Gründe brauchen, um Frauen umzubringen. Für Frauen ist Mord Rettung aus letzter Not, für Männer keine große Sache. Selten hat ein Macho brutaler über sich und seinesgleichen nachgedacht als Ellroy in Die Rothaarige; der Krieg der Männer gegen die Frauen ist Ellroys zweites Thema, das sich durch all seine Bücher zieht.
Crime Wave enthält Storys, Reportagen, Erinnerungen, die Ellroy für das US-Magazin GQ geschrieben hat, die meisten Ende '98. Sie handeln von den Verbrechen der Stadt, ihren endlosen Verwicklungen - jeder kennt jeden, jeder ist jedem was schuldig - und von der Gerüchteküche. Er erzählt - fiktiv - von dem Klatsch-Magazin "Hush Hush", das einen besonderen Deal mit Rock Hudson eingeht. Wenn Hudson sich konform verhält, wird das Blatt zukünftig von ihm nur noch als großem Schürzenjäger berichten und damit die karrieretödlichen Gerüchte über seine Homosexualität abwürgen. Oder er erzählt von der realen - Schauspielerin Karyn Kupcinet, deren nackter Leichnam gefunden wurde und von der bis heute nicht klar ist, ob sie ermordet wurde oder einen Unfall hatte. Er erzählt von Frank Sinatras Komplexen, was dessen Schwanzgröße betrifft, und von Sinatras "brat pack"-Kumpel Sammy Davis, der Sinatra hasst wie die Pest.
Und Ellroy erzählt von sich, wie er die Stadt immer wieder entdeckt, auch über die ungelöste Mordgeschichte in seiner Familie. Wie er auf die Schiefe Bahn geriet, 15 Jahre lang sich mit Kleinstdiebstählen, Einbrüchen und nächtlichen Voyeurabenteuern durchschlug. Nur "die Umsicht des Feiglings" (Ellroy) verhinderte, dass er ganz abstürzte. Irgendwann beschließt er, der beste Schriftsteller der Welt zu werden. Seither läuft es besser.
Die Reportagen und Storys sind im typischen Ellroy-Stil gehalten: kurz, knapp, brutal, poetisch (nicht immer kommt die Grammatik des Übersetzers da mit). Nicht ein Satz könnte nicht auch so in einem seiner Romane stehen.
Die beste Geschichte steht am Schluß. Ellroy und ein Kumpel organisieren ein Klassentreffen. 30 Jahre später. Er sieht seine Freunde von damals, redet, hört zu, erinnert sich. Und schreibt über sie: "Sie kamen, um Beziehungen mit bestimmten Leuten aufzunehmen und sich gemeinsam in nostalgischen Empfindungen zu ergehen. Ich kam, um sie zu ehren und meine Dankesschuld an sie einzugestehen."
KORRUPTE COPS
In Die Rothaarige beschreibt Ellroy seine erste Begegnung mit dem Cop Jim Stoner, der ihm bei den Ermittlungen helfen soll. Stoner hält ein Exemplar von Ellroys White Jazz in die Höhe und fragt, warum darin nur korrupte und perverse Cops vorkämen. Ellroy antwortet: gute Cops sind nur was für schlechte Romane.
Wie sehr dieser Satz gilt, läßt sich in Bob Leucis Der Spitzel fein beobachten: in dem Moment, wo seine Cops Gutes tun wollen, wird der Roman erbärmlich schlecht.
Police-Officer Bob Leuci war der "Prince of the City", ein intern ermittelnder Cop, dessen Geschichte von Robert Daley aufgeschrieben (und von Sidney Lumet verfilmt) wurde. Nach 20 Dienstjahren hat Leuci ins Schriftstellerlager gewechselt und ist zum besten Cop-Betrachter der 90er geworden. In der Tradition der Polizei-Autoren Wambaugh und Daley erzählt er Geschichten aus dem Innenleben der Polizei. Allerdings ist Leuci nicht so kitschig wie Wambaugh oder so trocken wie Daley. Captain Butterfly oder Abtrünnige gehören zu den besten Romane über Polizisten, ihren Corps-Geist und ihre Anfälligkeiten, was die Verlockungen des Lebens betrifft.
Der Spitzel ist auch so ein Buch. Erzählt wird von Nick, dem aufrechten Bullen, der an Cop Sonny, das Lebens- und Korruptionsgenie gerät. Sonny sorgt für eine vollkommen verkorkste Razzia, an deren Ende sieben tote Männer liegen. Wie das passieren konnte, warum mindestens zwei Unschuldige sterben mußten, dass entwickelt Leuci sehr sorgfältig, einfühlsam und vielschichtig. Die Antworten sind nicht einfach, nur die Fragen. Am Ende gehen Nick und Sonny ihrer Wege, nichts ist geklärt, alles bleibt offen. Ein gutes Buch.
Nur hat Leuci, inzwischen auch in die Jahre gekommen, einen zweiten Teil drangeschrieben, der auch stilistisch abfällt. Er greift die Geschichte 10 Jahre später wieder auf, Nick ist längst Captain, Sonny ein erfolgreicher Autor von Cop-Thrillern - da läuft Nick, inzwischen Mitte 40, ein bezauberndes weibliches Wesen über den Weg, zwanzig Jahre jünger als er, und er ist derart rettungslos verliebt, dass er ihr zuliebe den alten Fall noch einmal aufgreift und Karriere und Kopf und Kragen und überhaupt alles riskiert, um der jungen Schönheit aus der Patsche zu helfen.
Dass ein alternder Autor sich von seinen Harmonie-Fantasien überwältigen läßt, ist noch nix schlimmes. Ein guter Thriller hält sogar ein happy end aus. Aber für dieses Ende wirft Leuci alles über Bord, was er zuvor an Figurenpsychologie entworfen hat. Man erkennt seine Helden, die plötzlich alle nur Gutes tun wollen, nicht wieder. Nun kann die Liebe zu einer Frau einiges in Unordnung bringen. Aber das gibt dann eben ein anderes, hier: ein schwaches Buch, das zu zwei Dritteln klug, spannend, hoffnungslos und ehrlich ist. Und im Endspurt rettungslos in die Honigfalle tappt. Und klebt.
ROTHAARIGE
Den größten Ärger mit einer 20 Jahre jüngeren Rothaarigen bekommt auch der namenlose Auftragskiller in Luis Sepulvedas Tagebuch eines sentimentalen Killers. Er sitzt in Paris in einem Café, eine junge Frau setzt sich zu ihm: "Es gibt Frauen, die können ihre Lust auf Bumsen Ausdruck verleihen, ohne ein Wort zu sagen. 'Wie alt bist du?' fragte ich. 'Vierundzwanzig', antwortete sie mit ihrem kleinen roten Mund. 'Ich bin zweiundvierzig', gestand ich mit einem Blick in ihre Mandelaugen. 'Ein junger Mann', log sie mit dem ganzen Fieber ihrer Bewegungen beim Rauchen, während sie das Haar zurückstrich, das die Farbe reifer Kastanien hatte und so glatt und geschmeidig war wie Wasser, das über moosbedeckte Steine plätschert. 'Willst du vor dem Bumsen essen oder hinterher?' fragte ich und winkte dem Kellner, um zu zahlen. 'Iss mich und bums mich in der Reihenfolge, die dir lieb ist', antwortete sie.." - Man merkt schon: Luis Sepulveda nimmt das Genre nicht so ganz ernst, weshalb er für seine gut gebaute Geschichte auch nur 80 Seiten braucht. Es kommt alles vor, was an Klischees über wortkarge, einsame Auftragskiller in Umlauf ist ("Bist du sowas wie Leon, du weißt schon, der Film?" - "Ja, aber nicht so bescheuert"). Nur dass der Killer eben diese kleine rothaarige Französin am Hals hat, die nichts wie Ärger macht und ihn zu Beginn der Geschichte verlassen hat. Sepulveda treibt die Parodie an ihr bitteres Ende, ein happy end wird nicht gewährt, die verwirrende Frau wird am Ende einfach erschossen; in der Parodie ist vieles leichter.
Das schönste an diesem "Tagebuch" aber ist der grimmige Humor. Einen aufdringlichen türkischen Taxifahrer, der ihm verschiedene Arten und Klassen von Nutten vermitteln will, würgt der Held ab, in dem er ihm beichtet, er stünde eigentlich auf "stark behaarte Frauen. Wissen Sie, der Tschador erregt mich bis zum Wahnsinn". Ein Mann ist immer durch eine Frau zum Schweigen zu bringen. So oder so.
Alex Coutts
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