CEYLON

Im Dschungel des Vergessens

»Der Fall Hamilton« führt in die 30er Jahre auf Ceylon

Es ist die Zeit des Umbruchs: In Indien macht gerade ein Anwalt namens Gandhi auf sich aufmerksam und legt sich mit den britischen Besatzern an.
Gleich um die Ecke liegt Ceylon, das heutige Sri Lanka. Sam, die Hauptfigur in Der Fall Hamilton, ist ebenfalls Anwalt und mit der Präsenz der Briten sehr zufrieden. Die englischen Herrn erlaubten Sam als Kind der Oberschicht Ceylons zu studieren, sie brachten ihm ihre Manieren und ihre Weltsicht bei, weshalb Sam sich mehr als Mitglied des Empire denn als Ceylonese fühlt, und wenn überhaupt, bedauert Sam nur, dass "für uns kein Weltreich" zur Verfügung stand, dass "wir hätten verwalten" können. Denn er und seinesgleichen, die Oberschicht Ceylons, sind zum Herrschen und Verwalten geschaffen.
Mit ironischer Bosheit beschreibt Michelle de Kretser die Vergangenheit jener Insel, die heute Sri Lanka heißt und vom Krieg zwischen Tamilen und Singhalesen zerrissen wird.
Der Fall Hamilton beschreibt die Schönheit einer Landschaft, die Tiefe einer Kultur, die nichts anderes kann als sich den jeweiligen Herrschern zu unterwerfen und anzudienen. Die Hauptfigur, der eitle Emporkömmling Sam, der seine Landsleute mehr verachtet als seine Kolonialherren, gerät als Anwalt an den "Mordfall Hamilton" und präsentiert der Polizei einen weißen Engländer als Mörder.
Danach geraten sowohl die Karriere des Helden als auch de Kretsers Buch aus den Fugen. Natürlich verzeiht die weiße Herrschschaft nicht, wenn ein "eingeborener" Staatsanwalt, dunkelhäutig noch dazu, einen der Ihren als Verbrecher entlarvt. Nicht, dass Sam unter Sanktionen zu leiden hätte, er wird nur nicht mehr Richter werden, seine berufliche Laufbahn endet mit dem Fall Hamilton.
Das Buch endet da übrigens auch. Es verliert sich anschließend in mäandernden Handlungsfäden, wechselt plötzlich die Perspektive und versucht, eher hilflos als raffiniert, die Erzählfäden der ersten Hälfte aufzugreifen.
Bis etwa Seite 200 ist Der Fall Hamilton eine faszinierende, ironisch-boshafte Gemme, ein Text, der über sich selbst lächelt, weil er alte Zeiten heraufbeschwört, die nur angesichts des gegenwärtigen Elends zu glänzen scheinen.
Aus der Perspektive Sams erzählt, verbergen sich viele Geschichten hinter Sams Geschichte. Wenn de Kretser diese Geschichten im zweiten Teil sichtbar macht, verliert das Buch seinen Zauber und wird ein Lehrstück. Zuvor warïs Literatur:
Victor Lachner
Michelle de Kretser: Der Fall Hamilton. Aus dem Englischen von Anke Carolin Burger. Klett-Cotta, Stuttgart 2006, 349 S., 22,50 ISBN: 3608937404