BIOGRAPHIE

Weder noch

Der Kabarettist Georg Kreisler erzählt sein Leben

Mäßig verbittert lebt der Chansonnier, Pianist und Kabarettist Georg Kreisler heute in Basel. Mit über 80 Jahren schreibt er längst keine neuen Lieder mehr (aber textet seine alten immer noch in bisweilen beachtliche Neufassungen um), geht nur noch auf Lesetournee und schreibt Bücher, Theaterstücke, Opern.
Dem wahrscheinlich genialsten Musikkabarettisten der 60er bis 80er Jahre haben die Journalisten Hans-Jürgen Fink und Michael Seuffert lange zugehört und daraus Georg Kreisler gibt es gar nicht - Die Biographie destilliert.
Die erzählt von Kreislers unglücklicher Kindheit in Wien, der mühseligen Flucht vor den Nazis, dem nicht minder mühseligen Überleben in Hollywood und später New York, der Rückkehr nach Wien, dem Umzug nach Berlin - Georg Kreisler war viel in Bewegung und hat jeden Ortstwechsel für neue künstlerische Ideen genutzt.
Dass Kreisler mit beinahe jedem Aufenthalt unzufrieden war, dass er schnell aneckte, wundert nicht weiter, wenn man seine Kunst kennt. Die melancholische Zerrissenheit und innere Heimatlosigkeit waren immer seine Stärken und ziehen sich durch all sein Lieder (am anrührendsten hat er diese Heimatlosigkeit in dem Lied "Weder noch" ausgedrückt).
Im Detail hat das meiste davon in Texten von Kreisler selbst gestanden, trotzdem ist es hier derart gut geordnet, dass sich die Lektüre lohnt.
Erstaunlich ist allerdings, wie bereitwillig die Autoren allein Kreislers Perspektive übernehmen, wie sie ganz auf seine Geschichte vertrauen. Vor allem bei den Schilderungen der Privat-Beziehungen wünscht man sich, es wären auch andere Quellen befragt worden. Es kann ja nicht sein, dass alle Frauen (bis auf die aktuelle) in Kreislers Leben kleine Scheusale waren und er nur die Rolle des guten Ritters spielte.
Seltsam zurückhaltend wird die künstlerische Produktion Kreislers vorgestellt. Es wird brav aufgezählt, was der Mann wann warum schrieb, aber eine Analyse der Werke fehlt. Dabei wäre gerade die biographische Verbindung mit den jeweils aktuellen Produktionen spannend gewesen. Auch das Auseinanderbrechen von Kreislers politischer Kabarett-Truppe um das Programm Hurra, wir sterben herum, wird arg flappsig abgetan: die jungen Kollegen haben sich überschätzt - das war alles?
Georg Kreisler gibt es gar nicht ist eine solide Fleißarbeit. Man hat mitgeschrieben, ein paar Zitate aus dem Pressearchiv geholt und den Deutschen Wetterdienst gefragt, wie das Wetter am 18. Juli 1922 in Wien war. Das Buch ist ein Liebesdienst für einen großen Künstler. Eine befriedigende Künstlerbiographie ist es nicht.
Kreisler-Freunde werden um das Buch trotzdem nicht herumkommen. Als echten Clou haben die Autoren Kreislers erste, nie veröffentliche Aufnahme von 1947 aufgetrieben und dem Buch als CD beigelegt. Von den damals für RCA eingespielten sechs Liedern waren drei bisher noch nie zu hören.
Thomas Friedrich
Hans-Jürgen Fink & Michael Seuffert: Georg Kreisler gibt es gar nicht. Die Biographie. Scherz, Frankfurt 2005, 319 S. + 1 CD, 24,90 ISBN: 3502150214