Kreative Nacktturner Wie man sich selbst anschiebt Immerzu betonen die Leute, wie kreativ sie seien, auch wenn das nur bedeutet, dass sie aus einem Stein und ein paar Klebeaugen lustige Mitbringsel fabrizieren. Nach dem besuchten Poetry Slam hat man sich selbst an den Rechner zu setzen, um Alltagsweisheiten aneinanderzureihen, die man dann beim nächsten Mal zum Besten gibt. Die Kindererziehung wird kreativ betrieben, das Eheleben, die Partnersuche, das Trauern, nur nicht hängenlassen, sondern kreativ damit umgehen, dann haben alle was davon. Weil nun aber so viel Kreativität nicht unbegrenzt im Menschen schlummert, hat sich Mason Currey hingesetzt und zusammengetragen, wie berühmte Personen sich zum Kreativsein gezwungen haben, denn, und dies hat er bei seiner Suche schnell festgestellt, die meisten Kreativen haben Rituale, ohne die sie niemals ihre Kreativität hätten bündeln können. David Lynch hatte jahrelang die Angewohnheit, sich um halb drei in einen Diner zu setzen und dort Unmengen an Kaffee und Schokoladenshakes zu trinken, um die durch den Zuckergehalt aufgehuschten Ideen im Kopf zu sammeln und auf Servietten zu schreiben. Dass Thomas Mann ein Beamter im Schreibbusiness war, ist bekannt. Immerzu mussten die Kinder ruhig sein, Schallplatten wurden erst nach 20 Uhr angekurbelt, das Leben im Hause Mann war alles andere als spontan. Und so erfahren wir in den 88 Portraits, dass zum kreativen Arbeiten vor allem eines gehört: eine gehörige Portion Disziplin. Currey hat sich durch Biografien, Tagebücher und Erinnerungen von Zeitgenossen gearbeitet, um dahinter zu kommen, wie die Tagesabläufe der Berühmten ausgesehen haben. Dass die sich alle irgendwann ähneln und nur in Details voneinander abweichen, merkt man schnell. Trotzdem bleibt einem das eine oder andere Ritual im Kopf hängen. Dass Kafka täglich zehn Minuten nackt vor dem Fenster turnte, bevor er mit Max Brod spazieren ging, ist doch eine nette Information, aus der man einen Text für den nächsten Poetry Slam stricken könnte. Sacha Brohm
Mason Currey: Musenküsse - Für mein kreatives Pensum gehe ich unter die Dusche. Aus dem Amerikanischen von Anna-Christin Kramer. Kein & Aber, Zürich, 2014, 270 S., 14,90
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