KOSOVO
Lügen und Leichen
Immer noch keine intelligente linke Kritik an der Balkan-Politik der NATO
So wichtig es wäre, über den ersten Krieg zu reden, an dem Deutschland nach 1945 direkt beteiligt war, so wenig Lust verspürt man, dies mit dem "Konkret"-Redakteur Jürgen Elsässer zu tun. Der betreibt in seinem Buch Kriegsverbrechen. Die tödlichen Lügen der Bundesregierung und ihre Opfer im Kosovo-Konflikt (so grammatikalisch unpräzise wie der Untertitel ist das ganze Buch) eine rhetorische Leichenfledderei, dass einem das Kotzen kommen möchte. Schon einleitend rechnet Elsässer die Opfer von Srebrenica ausgesprochen geschmacklos herunter. Zwar ist es richtig, dass es wohl erheblich weniger Tote gab als zunächst angenommen, aber es ist mehr als degoutant, wenn man den von Elsässer zitierten Ausführungen immer wieder die Erleichterung anmerkt, wenn nicht 1000 sondern "nur" 750 Menschen ermordet wurden. Ebenso heftig bezichtigt er Joschka Fischer der Lüge, wenn der behauptet, zu Beginn des Kosovo-Konflikts seien "300.000 Flüchtlinge" in den unübersichtlichen Wäldern verschwunden, wohingegen Elsässer genüßlich die Amis zitiert, die zum gleichen Zeitpunkt von "nur" 250.000 Flüchtlingen sprechen. Elsässer zitiert einen vertraulichen Bericht des deutschen Außenministeriums, in dem erwähnt wird, auf Seiten der UCK "sollen auch Frauen an Kämpfen" beteiligt gewesen sein, was dem serbischen Militär - so der perfide Schluß - ja keine Wahl läßt: jetzt müssen auch Frauen umgebracht werden.
So geht das Holterdipolter, 150 Seiten lang. Kurz vor Beginn des Kosovo-Krieges hat sich die Lage für Elsässer entspannt, weil die jugoslawischen Streitkräfte bei Vergeltungsaktionen "Dörfer nicht mehr vollständig einebnen" - wie schön!
Begeistert ist er von dem kanadischen Journalisten Paul Watson, einer "einzigartigen Quelle" (Elsässer). Denn der kann zum Beispiel bezeugen, dass es keinesfalls zu wilden Vertreibungen und Vergewaltigungen im Kosovo kam: "Was ich sah, war ein organisiertes Fortschaffen von Menschen, kein Massenmorden, keine Vergewaltigungen in den Straßen, keine Betrunkene, die aus Flaschen tranken und Dinge in Brand setzten. Es war ein organisierter, erzwungener Auszug." - ähnlich gut erzogen haben die Deutschen seinerzeit das Warschauer Getto geräumt (ohne damit historische Vergleiche ziehen zu wollen, es geht hier nur darum, was Elsässer im Kopf hat).
Wenn nichts mehr geht, hilft reine Rhetortik: "Ist ein brutaler Nationalismus ohne Antisemitismus denkbar?" fragt Elsässer, und antwortet mit "nein!", weshalb in Serbien, wo es keinen Antisemitismus gebe, eben auch keinen "brutalen Nationalismus" geben kann. Und wenn es sonst keine Gegenbeispiele gäbe: kann man Israels Nationalismus nicht "brutal" nennen?
Es gibt viele Fragen (und inzwischen auch viele Antworten) zum NATO-Krieg gegen Serbien. Dass die NATO bei ihrem Einsatz gegen jede Menge Kriegskonventionen verstieß, räumt sie selber ein (und bestätigt damit, schon rein logisch, Kriegsverbrechen begangen zu haben). Dass Scharping und Fischer bei der Initiierung dieses Krieges einen Haufen nicht belegbarer Fakten über Greueltaten unters Volk warfen, ist unstrittig. Aber mit Jürgen Elsässer möchte man darüber nicht diskutieren. Selbst wo er Recht hat, hat er das aus falschen Gründen: seitenweise polemisiert er dagegen, das Schicksal der Albaner mit dem der Juden unter den Nazis zu vergleichen. Das geht in Ordnung. Am Ende aber, nach dem Sieg von NATO und UCK, entdeckt er einen "albanischen Faschismus" - dann wären die Serben die Juden; Elsässer läßt nur ein faules Ei von einer Hosentasche in die andere wandern.
Wie wenig seine Analyse taugt, zeigt der Wahlsieg des pazifistischen Albaner-Präsidenten Rugova. Bei Elsässer taucht der gar nicht auf, für ihn hat der sogenannte UCK-Faschismus schon gewonnen.
Erich Sauer
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