Science Fiction

Kakanien forever

Einen Jux will er sich machen: In »Der Komet« beschreibt Hannes Stein eine Welt, in der Österreich die Weltherrschaft erlangt hat - völlig friedlich.

Der Erste Weltkrieg hat nicht stattgefunden, denn das Attentat auf den Kronprinzen in Sarajewo fiel aus. Also gab es kein beleidigtes Deutschland, kein Österreich im Krieg mit aller Welt, keine Revolution in Russland (in Zürich lebte ein verbitterter Redakteur namens Lenin, während in Österreich ein Herr Bronstein das Blättchen "Prawda" herausgab). Es gab vor allem keinen jüdischen Exodus in die USA, weshalb das Land hinterm Atlantik immer noch recht provinziell ist und kulturell keine Rolle spielt. Die großen Filmstudios sitzen in Wien und Salzburg, wo Regisseure wie Sztephan Spielberg und Samuel Wilder den Ton angeben.

In Österreich, das immer noch als Vielvölkerstaat den gesamten Balkan umschließt, herrscht nach wie vor der Kaiser, der umsichtig und zurückhaltend sein Land in die Moderne führt.

Der in den USA lebende Exilösterreicher Hannes Stein hat sich diese Welt ausgedacht und beschreibt sie in charmanter Gemütlichkeit als würde man mit dem "Mann ohne Eigenschaften" noch einmal "Kakanien" durchschreiten (wie die K.uK.-Monarchie bei Musil heißt). Hier sitzen immer noch diverse Hofräte im Kaffeehaus und spielen Karten und lästern über die Welt, und das Siegmund Freud Museum steht in Wien und nicht in London.

Damit Der Komet (ein solcher rast im Roman auf die Erde zu und droht diese Alternativwelt zu zerstören) nicht einfach als frivoles Gedankenexperiment stehenbleibt, hat Stein einen ausführlichen Anmerkungsapparat angelegt, in dem die Realgeschichte ausführlich und sehr temperamentvoll beschrieben wird. Etwa wie Anne Frank ums Leben kam. Warum die österreichischen Filmstudios, die es ja wirklich gegeben hatte, verschwanden. Wie der jüdische Kondom-Erfinder Fromm zweifach enteignet wurde (erst von den Nazis, später in der DDR) und wie die USA den Wettlauf zum Mond gewannen, nämlich dank der deutschen Raketenforschung in Peenemünde, die Tausende von Zwangsarbeitern das Leben gekostet hatte.

Einer der Herren Therapeuten im Roman behandelt übrigens einen Herrn, der schreckliche Alpträume hat. Sie handeln von Massenmorden an Juden, der Bedeutung eines Örtchens namens Auschwitz und einer Welt, in der Deutschland gegen alle Krieg führt und in der Anne Frank schon als Kind ermordet wurde (und nicht, wie in Steins Welt, den Nobelpreis erhielt). Im Roman schütteln die zu Rate gezogenen Kollegen angesichts solch absurder Angstträume nur den Kopf. Derlei sei nur durch eine tiefe Todessehnsucht zu erklären, sagt einer der Herren. Der Komet ist ein witziger und kluger und wütender und wütend machender Roman, dessen letzte Anmerkung beschreibt, wie sich jenes Attentat in Sarajewo abspielte, das die ganze Welt ins Unglück stürzte; ein Vorkommnis von gigantischer Absurdität, das man keinem Romanautor durchgehen lassen würde.

Thomas Friedrich

Hannes Stein: Der Komet Galiani Berlin bei Kiepenheuer & witsch, Berlin 2013. 271 S., 18,99