SELBSTBILDER

Mein eigener Proviant

Tiziano Scarpas Aphorismen über seinen Körper

Die Lider: "zwei Guillotinen, die den Kopf vom Licht trennen, zwei Münder, die Bilder abbeißen." Oder: "Meine Brustwarzen sind der Beweis dafür, dass die Männer den Frauen nicht trauen."
Nach Kapiteln (und mehr oder weniger nach Körperteilen) geordnet, beschreibt der italienische Autor Tizianoi Scarpa sich selbst - die Fersen, die Hände, die Nerven, das Herz, den Schwanz. Jederzeit steht das (meist gelungene) Bemühen im Vordergrund, den Körper als Anlass zur Poesie zu begreifen, als aufregenden Erzähl-Anlass, in dem sich jederzeit Unerhörtes abspielt.
Wie schon bei ähnlichen Detail-Arbeiten Calvinos führt das weniger irgendwo hin, es ist mehr eine poetische Fingerarbeit, mit all ihren Schwächen. Scarpa ist nicht um eine wirkliche Systematik bemüht, je nach Kontext beschreibt er die gleichen Dinge sehr unterschiedlich; mal ist das Herz der dümmste Muskel des Körpers (im Kapitel "Muskeln"), später wird es zur tragischen Instanz (im Kapitel "Herz").
Auch die Einträge "Finger", "Arme" und "Hände" ergänzen sich nicht wirklich, die Freude am gelungenen Ausdruck ("Meine Hände sind zwei Tiere, die dem Körper aufgepflanzt wurden") steht im Vordergrund.
Bei aller mystifizierenden Formulierfreude bleibt Scarpa dem Fleischlichen verhaftet: "Ich blicke an mir herab: Ich bin ein Batzen leckeres Fleisch, mein eigener Proviant. Wenn ich mich von mir selbst ernährte, würde ich mir nicht einmal eine Woche lang reichen."
Dieses Buch ist ein schöner Beweis für diese Idee.
Thomas Friedrich
Tiziano Scarpa: Körper. Aus dem Italienischen von Olaf Roth. Wagenbach, Berlin 2005, 157 S., 17,50 ISBN: 3803131987