MUSIK
In Kurts Gewächshaus
Chuck Klosterman besucht Todesorte berühmter Musiker
Manch einer will weniger mit klugen als mit originellen Meinungen glänzen. So einer ist der Spin-Redakteur Chuck Klosterman. Über Sexualität schreibt er etwa, sie wäre zu 15 Prozent real und zu 85 Prozent Illusion. Zwei Seiten weiter behauptet er das Gleiche über Hitze. Zur Arbeit erscheint er in Khakishorts, denn das ganze Leben sei Tourismus, irgendwie. Solche Ansichten produziert der Autor im Sekundentakt.
Vor drei Jahren hatte ihn seine Chefin auf eine lange Dienstreise fern ab der Spin-Redaktion geschickt. Klosterman sollte mit dem Auto quer durch die USA zu den Todesstätten berühmter Rockstars fahren. Ob man den manischen Meinungsmacher einfach nur eine Weile loswerden wollte, ist nicht bekannt.
Bekannt ist, dass Klostermans Eindrücke nicht im Spin-Magazin veröffentlicht wurden. Dafür liegen sie jetzt in Buchform vor. Im Plauderton präsentiert uns Klosterman eine seltsam-interessante Musiksammlung: Britney Spears, Boston und Kiss - besser einen originellen Musikgeschmack haben als gar keinen. Mit 600 CDs im Handgepäck - er kann seinen iPod nicht bedienen - fährt er zunächst nach Rhode Island. Dort setzten einst die Hardrock-Poser Great White mit ihrer Pyro-Show eine Konzerthalle in Brand, wodurch der Bandgitarrist und viele Zuschauer starben. Klosterman bewundert die toten Hardrock-Fans für ihren authentischen Musikgeschmack. Das bringt ihn dann auf das Thema der Authentizitätskrise seiner Generation. Da wird er ganz sentimental, während er Kokain im Pickup eines Dorfjugendlichen schnieft. Auch an seinem verzettelten Liebesleben mit drei Frauen lässt er uns ein paar Drogeneinwürfe später teilhaben.
So tuckert Klosterman kiffend, koksend und saufend auf den Spuren Hunter S. Thompsons durch die Provinz. Da viele Todesorte (Presleys Privatklo, Kurt Cobains Gewächshaus) wenig spektakulär sind, hat er viel Zeit für seine Lieblingsbeschäftigung: das Entwickeln interessanter Thesen. Und wer ununterbrochen etwas behauptet, hat sogar manchmal recht. Klostermans Reflexionen über Musikjournalismus und Popkultur sind jedenfalls lesenswert. Allerdings hätte er dafür keinen Road Trip von New York nach Seattle unternehmen müssen.
Frank Krings
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