FILMEGUCKEN

Und Klappe!

Willi Winkler geht nicht mehr ins Kino

Bei dtv gibt's eine alberne Reihe, die "Kleine Philosophie der Passionen", da schreibt der Münchner Oberbürgermeister Ude übers "Stadtradeln", Heiner Geißler übers Bergsteigen, Burkhard Spinnen über Modelleisenbahnen, Sky Nonhoff über Schallplatten - was man halt so erzählt, wenn die eigentliche Karriere am Ende ist und man nur noch seine Hobbys pflegt.
Jetzt also Willi Winkler über "Kino". Winkler hat früher mal schlechte Filmbücher zusammengeschrieben, bevor er bei der "Süddeutschen" als Autor unterkam und heute recht witzige Feuilletons schreibt; allerdings: an Filme läßt ihn die SZ nicht 'ran.
Seine Philosophie der Passion "Kino" besteht im Wesentlichen aus Film-Anekdoten (und der originellen Schreib-Waise "Taikun" für "Tycoon"). Wie er "Der letzte Tango in Paris" in einem US-Studentenkino sah; wie er beim "Schweigen der Lämmer" einschlief, dass Richard Dreyfuß nie in wirklich aufregenden Filmen mitgespielt hat (nun ja, Herr Winkler: "Der weiße Hai", "Inserts", "Der große Trick" ...), dass Irving Thalberg an gebrochenem Herzen starb und wie er, Winkler, Isabelle Huppert als "Spitzenklöpplerin" und vor allem für ihre Sommersprossen liebte und (beide) erst als "Die Klavierspielerin" wiederentdeckte (mindestens Hupperts göttlicher Schlampenauftritt in "Der Saustall" scheint ihm entgangen zu sein). Es sind vorwiegend Filme der 70er und 80er, die Winkler gesehen hat und die ihn - nein, nicht in Leidenschaft versetzten, sondern zu jemandem machten, der halt gern ins Kino geht, weil's da übersichtlicher und pointierter zugeht als in der Wirklichkeit. Ein Film, sagt Winkler, gehört dir nur dann, wenn du nicht über ihn reden mußt.
Wie gesagt, diese dtv-Reihe ist samt und sonders ziemlich albern. Es gibt ein letztes Kapitel, "Abspann", in dem Winkler mosert, mit dem Kino sei es eigentlich vorbei, man gehe nicht mehr in Filmpaläste sondern ins Multiplex, und da gäbīs dann auch nicht "Fenster zum Hof", sondern leider nur "Matrix". Wenn er diesen Gedanken sozusagen rückwärts gedacht hätte, was nämlich mit dem Film und besonders mit der Abspielstätte "Kino" in den 90ern passiert ist, dann wär er vielleicht drauf gekommen, worin die Leidenschaft für den Ort "Kino" und für das, was dort gespielt wurde, bestanden haben könnte. Und dann könnte man gemeinsam einen kleinen Verlust in unserem kulturellen Gedächtnis betrauern. Und zum Beispiel über die sinnliche Mischung von Politik und Leidenschaft bei Fellini reden. Aber schon dafür müssen wir Winkler vor die Tür schicken. Der mag Fellini nicht.
Victor Lachner
Willi Winkler: Kino Kleine Philosophie der Passionen, dtv Nr. 20486, München 2002, 133 S., 8,- EU